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Ukraine verklagt Russland vor dem Internationalen Gerichtshof

Die Ukraine wirft Russland vor, die UN-Konventionen gegen Diskriminierung und gegen die Finanzierung von Terrorismus verletzt zu haben. Dabei geht es um die annektierte Halbinsel Krim sowie den Krieg in der Ostukraine. Fraglich ist, ob sich der Internationale Gerichtshof als zuständig erachtet. Eine Entscheidung im Prozess ist erst in Jahren zu erwarten.

Der Internationale Gerichtshof eröffnet die Sitzung im Fall Ukraine gegen Russland. (Foto: ICJ)

Am gestrigen Montag (6. März 2017) haben in Den Haag die Verhandlungen im Fall Ukraine gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof begonnen. Innerhalb der ersten Verhandlungstage wird jede Partei jeweils zwei Tage öffentlich angehört.

Mitte Januar stellte die Ukraine Anklage gegen die russische Föderation aufgrund der mutmaßlichen Verletzung zweier UN-Konventionen: dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (kurz Konvention gegen Terrorismusfinanzierung) und dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (kurz Rassendiskriminierungskonvention).

So wird Russland beschuldigt, illegal bewaffnete Gruppen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk zu unterstützen. Den pro-russischen Separatisten in der Ostukraine wird in der Anklageschrift unter anderem zur Last gelegt, Zivilisten beschossen und den Malaysian Airlines Flug MH17 abgeschossen zu haben. Bei letzterem Vorfall allein starben 298 Menschen. Während die Ukraine und westliche Regierungen es als erwiesen ansehen, dass die Separatisten Unterstützung aus Moskau erhalten, haben russische Offizielle dies immer wieder abgestritten.

Mit Blick auf die Rassendiskriminierungskonvention bezieht sich die Anklage auf die Situation auf der Halbinsel Krim, die im März 2014 von Russland annektiert wurde. Die Ukraine klagt an, dass ethnische Ukrainer und Krimtataren diskriminiert werden. So wurden unter anderem Führungspersönlichkeit der Krimtataren verfolgt und der Medschlis, das repräsentative Organ der Krimtataren, 2016 verboten. Zudem habe das illegale Unabhängigkeitsreferendum auf der Halbinsel in einer Atmosphäre der Gewalt und Einschüchterung stattgefunden.

Der Internationale Gerichtshof

Der Internationale Gerichtshof (kurz IGH, englisch: International Court of Justice – ICJ) ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Er hat seinen Sitz in Den Haag. Das Statut des IGH ist Bestandteil der Charta der Vereinten Nationen, die dementsprechend seine Funktionsweise und Zuständigkeit regelt. Parteien vorm IGH können nur Staaten und keine anderen Völkerrechtssubjekte sein. Seine Entscheidungen sind binden. Grundsätzlich ist es einem Staat nur möglich einen anderen vor dem IGH zu verklagen, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen diesen Staaten besteht, die den IGH benennt oder wenn Einigkeit besteht, den Streit vor ihm auszutragen. 72 Staaten haben allerdings eine Unterwerfungserklärung abgegeben – diese Staaten können in allen völkerrechtlichen Streitfragen einen anderen Staat, der eine solche abgegeben hat, verklagen oder selbst von diesem verklagt werden. 

Parallelen zu Georgien gegen Russland

Die Parallelen zu einem anderen Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof sind offensichtlich. Georgien verklagte 2008 ebenfalls die Russische Föderation, nachdem es im selben Jahr zu einem Krieg zwischen den beiden Rechtsparteien in den georgischen Regionen Abchasien und Südossetien gekommen ist. Die georgische Regierung berief sich in ihrer Anklage wie nun die Ukraine auf die UN-Rassendiskriminierungskonvention, die Russland im Zuge seiner Intervention verletzt habe. Mit einer Mehrheit von einer Stimme erwirkte der Internationale Gerichtshof eine „einstweilige Verfügung“, die beide Seiten zur Beendigung von Konventionsverletzungen aufrief. Später, im Jahr 2011, entschied das Gericht schließlich, dass es keine rechtliche Zuständigkeit habe.

Ein Fall, der der Ukraine mehr Hoffnung machen könnte, ist das Urteil gegen die Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahre 1986. Damals entschied der Internationale Gerichtshof nach einer Klage Nicaraguas, dass die USA mit ihrer Unterstützung der Contras in dem lateinamerikanischen Staat internationales Recht gebrochen hat. Zwar musste die US-Regierung keine Strafgelder zahlen, dennoch war das Urteil ein Erfolg für das deutlich kleinere Nicaragua und der Internationalen Gerichtshof hatte Anerkennung als unabhängige UN-Institution gewonnen.

Voraussetzungen in Konventionen sind entscheidend

Die Krux bezüglich der Erfolgschancen der Ukraine wird die Auslegung der zwei angestrengten Konventionstexte durch den Internationalen Gerichtshof sein. Hier ist grundsätzlich anzumerken, dass die Anklage die eigentlichen Hauptstreitpunkte zwischen den Staaten nicht berührt – nämlich Russlands unrechtmäßige Gewaltanwendung durch die Annexion der Krim sowie das aktive Durchführen eines Stellvertreterkrieges im Donbass. Die UN-Konventionen, auf die sich die Ukraine vor dem Internationalen Gerichtshof beruft, sind zwar von Bedeutung für den Konflikt, berühren jedoch nicht seinen Kern. Dass sich Kiews Anklage auf das Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus und das Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung stützt, liegt schlicht daran, dass dies Konventionen sind, die beide Länder unterzeichnet haben.

Beide Übereinkommen besagen, dass Streitigkeiten über sie vor dem Internationalen Gerichtshof ausgetragen werden können. Dies ist eine Grundvoraussetzung, dass sich das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen eines Falles annehmen kann (siehe auch Infobox). Allerdings besagen die Konventionstexte auch, dass zunächst Verhandlungen angestrengt werden müssen, damit der Fall vorm Internationalen Gerichtshof vorgetragen werden kann. Hier wird Russland – wie bereits beim Disput mit Georgien – darauf pochen, dass die Ukraine kein ausreichendes und ernsthaftes Interesse an Verhandlungen gezeigt hätte. 

Die stellvertretende Außenministerin Olena Zerkal führt die ukrainische Delegation an.
Die stellvertretende Außenministerin Olena Zerkal führt die ukrainische Delegation an. (Foto: ICJ)

Verfahren kann drei Jahre dauern

Mit Blick auf die Konvention zur Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung ergeben sich zudem zusätzliche Probleme. Zwar bezeichnet Kiew die pro-russischen Kräfte als Terroristen. Gemeinhin wird die Situation im Donezbecken jedoch als ein hybrider Krieg gesehen, in dem sowohl ein internationaler als auch ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt stattfinden. So lässt sich zwar nachvollziehen, warum die Ukraine diese Konvention als juristische Basis heranzieht. Die Chance, dass der Internationale Gerichtshof hier folgt, sind allerdings eher gering, da die Form Moskaus Intervention in der Ostukraine wohl eher eine Verletzung der Regeln und Gebräuche des Krieges darstellt. Vom für Kriegsverbrechen zuständigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) hat sich Moskau 2016 zurückgezogen. Der IStGH hat keine universelle Zuständigkeit und kann zudem nur über Personen, nicht jedoch über Staaten Gericht sitzen. Höhere Chancen auf Erfolg hat die Ukraine wahrscheinlich mit ihren Anklagepunkten mit Bezug auf die Rassendiskriminierungskonvention.

Das aktuelle Verfahren könnte bis zu drei Jahren dauern. Mit einer einstweiligen Verfügung wäre im April 2017 zu rechnen. Ein Jahr danach wird das Gericht wahrscheinlich über seine Zuständigkeit entscheiden, bevor eine Entscheidung gegebenenfalls dann eineinhalb Jahre später folgen wird. 

Mirko Vossen


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