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Politische Parteien: Schwachstelle der Nachhaltigkeitsarchitektur

Es droht ein Trauerspiel. Während Regierungen in Bund und Ländern mit der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beginnen, wirken die sie tragenden Parteien davon auffällig unberührt und bleiben spürbar hinter den Dynamiken in Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Adolf Kloke-Lesch vom Sustainable Development Solutions Network Germany (SDSN) fordert in der Aktuellen Kolumne des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), dass dieselben Politiker, die sich in zahlreichen Geleitworten und Grußworten zur Universalität der Agenda 2030 bekannt haben, dies nun kraftvoll auch auf ihren Parteitagen tun und in den Wahlprogrammen verbindlich ausdrücken müssen.

Bonn, 29.05.2017. Es droht ein Trauerspiel. Während Regierungen in Bund und Ländern mit der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beginnen, wirken die sie tragenden Parteien davon auffällig unberührt und bleiben spürbar hinter den Dynamiken in Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Kein gutes Omen für die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl und die nächsten vier Jahre. Nach dieser Legislaturperiode sind es dann nur noch neun Jahre bis 2030!

Was läuft schief?

In den bislang veröffentlichten Wahlprogrammen wird die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) allenfalls als Referenzrahmen für Entwicklungspolitik und andere Außenbeziehungen erwähnt, nicht aber als übergreifendes Narrativ für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im eigenen Land. Nicht anders sieht es übrigens vor der britischen Unterhauswahl in den manifestos von Konservativen, Labour und Liberalen Demokraten aus. In Berlin werden öffentliche Veranstaltungen mit Parteienvertretern zur Rolle der Agenda 2030 bislang von international ausgerichteten Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt und vor allem durch entwicklungspolitische Themen und entsprechend fokussierende Sprecher der Parteien bestritten – auch wenn die Veranstalter die gesellschaftspolitische Dimension für die Menschen im eigenen Land versuchen mitzudenken. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat den Vorsitzenden von sieben Parteien unter der Überschrift „Was heißt ‚Nachhaltigkeit‘ für die politischen Parteien?“ sechs Fragen vorgelegt. Die bislang fünf Antworten verbinden zwar die jeweilige Programmatik allgemein mit der Agenda 2030 und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie erfreulicherweise auch mit einem gewissen Blick auf innerstaatliche Umsetzung. Aber ein konkretes und explizites Aufgreifen der SDGs in einzelnen Politikbereichen erfolgt genauso wenig wie ein Bekenntnis, der Nachhaltigkeit Verfassungsrang zu geben oder die Agenda 2030 wie von SDSN Germany gefordert themenübergreifend in den Wahlprogrammen zu verankern.

Politik hinter den Bühnen der Nachhaltigkeit

Sicher, die Agenda 2030 wurde von Regierungen beschlossen. Auch die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Strategie der Bundesregierung, nicht der Parteien, worauf gelegentlich süffisant hingewiesen wird. Gleichwohl spricht die Strategie vom „Gemeinschaftswerk Nachhaltige Entwicklung“, würdigt und ermuntert Akteure aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, aus Wissenschaft, Kunst und Kultur. Nicht jedoch die Parteien, die nach Artikel 21 des Grundgesetzes an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Daran ändert auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung im Bundestag nichts, der die SDGs als Impuls für die Arbeit in den Fraktionen nutzt. Das Ziel seiner dauerhaften Verankerung in der Geschäftsordnung aber hat der Beirat bislang genauso wenig erreicht wie sich im politischen Alltag bei den Fraktionsspitzen deutlich Gehör zu verschaffen. Die Fraktionen als parlamentarische Präsenz der Parteien müssten in erster Linie aus diesen heraus für die Umsetzung der SDGs mobilisiert werden. In den Parteien kommen aber vielfältige regionale und persönliche Interessen, die Anliegen von Strömungen und Interessengruppen zum Tragen. Das tägliche Ringen um Macht und Einfluss ist am Kurzfristigen orientiert. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Nachhaltigkeitsbewegung vor allem außerparlamentarisch und jenseits der Parteien aufgestellt. Es gilt im öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs schon fast als unanständig, über Parteien zu sprechen. Zu groß ist die Sorge, in Parteipolitik abzurutschen, zu nah der Vorwurf, man missbrauche den Diskurs für parteipolitische Zwecke. Diese Scheu muss überwunden werden, wenn Nachhaltigkeit in die Mitte der politischen Debatte kommen soll. Müssten nicht auch die Parteien im neuen Forum Nachhaltigkeit mitwirken, Rede und Antwort stehen und mit klaren Selbstverpflichtungen vorangehen?

Öffentlich über die Wege zu den SDGs streiten

Aber auch die Nachhaltigkeitsbewegten müssen umdenken und sollten die Parteien nicht mehr links liegen lassen. Zivilgesellschaft darf nicht nur Regierung und Wirtschaft, sie muss genauso die Parteien herausfordern. Auch die Nachhaltigkeitsforschung darf die Parteien nicht länger vernachlässigen, sondern muss deren Rolle zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen und Empfehlungen machen.

Wahlkämpfe leben von Unterschieden und Unterscheidung. Nachhaltige Entwicklung ist eine gemeinsame Aufgabe, die vom öffentlichen Bekenntnis lebt. Auf beides ist unsere Demokratie angewiesen. Jetzt sind die Spitzen der Parteien gefragt! Dieselben Politiker, die sich in Geleitworten von Nachhaltigkeitsstrategien, in Bundestag oder Europarlament, bei den Vereinten Nationen oder bei G7 und G20 zur Universalität der Agenda 2030 bekannt haben, müssen dies nun kraftvoll auch auf ihren Parteitagen tun und in den Wahlprogrammen verbindlich ausdrücken.

 

Adolf Kloke-Lesch, Geschäftsführender Direktor vom Sustainable Development Solutions Network Germany (SDSN)

Der Text wurde ursprünglich in "Die Aktuelle Kolumne" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) veröffentlicht.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem DIE veröffentlichen wir die "Aktuellen Kolumnen" mit UN-Bezug auch auf den Portalen der DGVN.


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