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Moderne Sklaverei weiter auf dem Vormarsch

In der Landwirtschaft, in privaten Haushalten, Restaurants, Schlachtereien oder Bordellen – laut Global Slavery Index arbeiten allein in Europa über eine Millionen Menschen in Formen moderner Zwangsarbeit. Und es werden mehr. Dieser Entwicklung wollen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen bis 2030 ein Ende setzen. Doch oft fehlen wirksame Gesetze zum Schutz der Betroffenen, auch für illegalisierte Einwanderer und Einwanderinnen.

Am 23. August 1791 rebellierten Sklaven in der französischen Kolonie St. Domingue - heute, über 200 Jahre später, gedenkt die UNESCO diesem Tag, der zur Abschaffung des Sklavenhandels beitrug ©UN Photo/Devra Berkowitz.

Sklaverei und Menschenhandel werden seit Einführung des Sklavereiabkommens 1926 geahndet, 1948 setzten die Vereinten Nationen außerdem ein Verbot von Sklaverei in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fest (Artikel 4). Doch Formen von Sklaverei und Zwangsarbeit bestehen in vielerlei modernen Ausprägungen fort. Gesetzlich ist Moderne Sklaverei nicht definiert, wird aber von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Sammelbegriff für sexuelle Ausbeutung und  Arbeitsausbeutung verwendet: "Essentially, it (modern slavery) refers to situations of exploitation that a person cannot refuse or leave because of threats, violence, coercion, deception, and/or abuse of power".

Für Männer bedeutet das zumeist Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in der Gastronomie oder der Fischerei. Frauen werden vorwiegend in privaten Haushalten, der Pflege oder in der Prostitution ausgebeutet. Auch Zwangsehen zählen zu moderner Sklaverei. Mit 84 Prozent der Opfer betrifft dies hauptsächlich aber nicht ausschließlich Frauen und Mädchen. Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben es sich mit der Verabschiedung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) (Ziel 8) zum Ziel gesetzt, moderne Sklaverei und andere Formen der Zwangsarbeit sowie des Menschenhandels bis 2030 zu beenden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Weltweit gab es 2016 rund 40.3 Millionen Opfer moderner Sklaverei. Fast 26 Millionen von ihnen leisteten Zwangsarbeit, die anderen befanden sich in Zwangsehen. Ein Großteil der Opfer lebte in Afrika und Asien. Doch moderne Sklaverei ist auch ein europäisches Problem. Auch hier sind Formen der Ausbeutung wieder auf dem Vormarsch - dies zeigt der im Juli 2018 erschienene Global Slavery Index und die Global Estimates of Modern Slavery, die von der ILO in Zusammenarbeit mit der Free Walk Foundation und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) herausgegeben wurden. Beide Berichte schätzten die Zahl der Opfer moderner Sklaverei in Europa und Zentralasien auf fast 3,6 Millionen. Rechnet man die Werte der EU Staaten (ohne Luxemburg und Malta, für die es keine Daten gibt) zusammen, kommt man auf 1,3 Millionen. Alleine in Deutschland wird von 167.000 Fällen  ausgegangen. Diese kommen allerdings selten zur Anzeige. Das Bundeskriminalamt registrierte im letzten Jahr lediglich 842 Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Illegalisierte Migration als Antriebsfaktor für Zwangsarbeit

Im Jahr 2016 kamen noch 70 Prozent aller Opfer und Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Zwangsarbeit in der Europäischen Union aus der Europäischen Union selbst; viele von ihnen aus Osteuropa. Durch zunehmende Flucht und Migration in Richtung Europa dürften sich diese Zahlen verändert haben. So äußerte auch der Europarat Anfang 2018 die Sorge über die Zunahme von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung - nennt allerdings keine europaweiten Zahlen, da die nationalen Behörden nicht in jedem Land zureichend Daten erfassen. Arbeitsausbeutung ist schwieriger zu identifizieren als Zwangsprostitution oder Zwangsverheiratung. Neben unterschiedlichen Arbeitsstandards und Antworten auf die Frage, wo Ausbeutung beginnt, kommt hinzu, dass viele Opfer auf ihre Arbeit angewiesen sind, und deswegen keine Anzeige erstatten. Hiervon sind illegal Eingewanderte besonders betroffen. Aus Mangel an Hilfsmöglichkeiten, Angst vor Abschiebung, Gewalt, Rache der Arbeitgeber oder Geldnot, begeben sie sich häufig freiwillig in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.

Erntezeit ist Ausbeutungszeit

Je mehr Zuwanderung nach Europa, desto mehr Arbeitsausbeutung und sexuelle Ausbeutung - und desto größer der Handlungsbedarf, wirksamen Schutz und angemessene Alternativen zu gewährleisten. Dies wird immer deutlicher. Beispielsweise in Südspanien oder Süditalien, wo Tausende Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika Orangen und Zitrusfrüchte ernten - zu "extrem ausbeuterischen Bedingungen" und häufig ohne Arbeitserlaubnis. Recherchen berichten von katastrophalen Lebensbedingungen in Plastik- und Kartonbehausungen, ohne fließendes Wasser, Strom oder Anschluss an Gesundheits- und Kanalsystem, von slumähnlichen Baracken mit 30.000 Arbeitern, die durch die Organisierte Kriminalität kontrolliert werden. Vereinzelt kommen jedoch auch Berichte von Ausbeutung, häufig osteuropäischer Arbeitnehmer, aus deutschen Betrieben. Arbeitern werde der Pass weggenommen, sie würden durch Schulden zu weiterer Arbeit genötigt oder unzureichenden Sicherheitsstandards am Fließband ausgesetzt. Auch diese Zustände sind Formen moderner Zwangsarbeit und Sklaverei. Hier braucht es mehr Kontrollen um zu überprüfen ob Unternehmen faire Arbeitsstandards umsetzen, und bessere Hilfsmöglichkeiten, die Arbeiter vor Ort und mehrsprachig über ihre Rechte aufklären.

Neue Formen moderner Sklaverei  - neue Antworten

Ob in der Landwirtschaft oder der Zwangsprostitution: Formen moderner Sklaverei sind komplex. Die Opfer dieser Menschenrechtsverletzung tragen keine Fesseln und können nicht offiziell verkauft werden. Doch Geldnot, Gewalt oder Angst vor Abschiebung treibt Menschen in die Abhängigkeit. Dies erschwert die Bekämpfung.

Besonders unübersichtlich wird es, wenn moderne Sklaverei nicht an Landesgrenzen Halt macht, sondern durch Zulieferketten verschleiert wird. Die ILO startete deswegen die Initiative 50forFreedom, die bis Ende 2018 50 Länder zur Ratifizierung eines Protokolls aufrufen möchte, das die von fast allen Ländern ratifizierte Forced Labour Convention ergänzt - und beispielsweise Unternehmen in die Pflicht nimmt, Zulieferketten besser zu kontrollieren. Bisher ratifizierten erst 25 Länder das Protokoll, darunter 15 europäische. Deutschland gehört noch nicht dazu.

Europäische Verantwortung - auch über Grenzen hinweg

Dabei wären neue Gesetze zur Kontrolle moderner Sklaverei bitter nötig. Die G20 Staaten hätten die Möglichkeit, mehr Druck auf die Herstellung von Produkten, die häufig unter Einsatz von Zwangsarbeit produziert werden, auszuüben. Dies versäumen sie allerdings. Zu diesen Produkten zählen Computer, Handys, Kleidung, Fisch, Kakao und Zuckerrohr. Alleine Deutschland importiert diese Produkte im jährlichen Wert von 30 Billionen Dollar. Hier sind auch die Konsumenten gefragt, beim Kauf auf faire Produktion zu achten. Der Einsatz gegen moderne Sklaverei bleibt also eine große Herausforderung - nicht nur für Politik und Unternehmen, sondern für alle.  

Nora Lassahn