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„Menschenrechtsschutz ist nicht selbstverständlich“

Christoph Strässer, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtsschutz und humanitäre Hilfe, spricht über den Stellenwert der Menschenrechte in der deutschen Politik sowie die Rolle und Wirkung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen nach dem Austritt der USA. Das Gespräch führte DGVN-Autorin Katja Philipps.

Christoph Strässer: "Wir beobachten eine Relativierung der Bedeutung von Menschenrechten insgesamt" © Lisa Köhler

Katja Philipps (KP): Der scheidende UN-Hochkommissar für Menschenrechte Said Raad al-Hussein prangerte in der Eröffnungssitzung des Menschenrechtsrates im Juni einen „weltweit um sich greifenden chauvinistischen Nationalismus“ an. Wie interpretieren Sie diese Aussage?

Christoph Strässer (CP): Ich denke, er hat nicht Unrecht. In Europa sind der Brexit und das Erstarken rechtspopulistischer Parteien klare Signale dafür, dass eine solche Entwicklung möglich ist. Die Wende hin zum Nationalismus ist noch nicht vollzogen, aber die Gefahr sehe ich sehr deutlich. Das würde aus meiner Sicht auch zur Relativierung der Universalität der Menschenrechte führen.

KP: Inwiefern?

CS: Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ein Quantensprung im Menschenrechtsschutz. Heute sehen wir im Grunde genommen eine Abkehr, eine Relativierung der Bedeutung von Menschenrechten insgesamt. Hier in Deutschland wird das aktuell am Thema Migration sehr deutlich. Aber die Gefahr eines um sich greifenden Nationalismus konnte man schon vorher beobachten. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Umstände der Aufklärung der NSU-Aktivitäten, wo es aus meiner Sicht unfassbare Fehleinschätzungen gegeben hat. Da müssen wir uns sehr deutlich selber hinterfragen, ob hier bestimmte Signale einfach nicht ernst genommen wurden. Es ist auch kein Zufall, dass uns nach dem Bericht, den Deutschland 2009 dem Menschenrechtsrat vorgelegt hat, klar gesagt wurde: Ihr müsst aufpassen, ihr bekommt ein Problem mit Rassismus.

KP: Diese Einschätzung hat der Menschenrechtsrat jüngst noch einmal wiederholt und Deutschland aufgefordert, stärker gegen Rassismus und Fremdenhass vorzugehen. Auch vor dem Hintergrund des aktuellen Asylstreits in der großen Koalition – welchen Stellenwert wird der Schutz der Menschenrechte, aber auch die Hilfe in humanitären Notlagen in den kommenden Jahren in Deutschland haben?

CS: Ich glaube, dass der Stellenwert des Menschenrechtsschutzes in der alltäglichen Politik eher begrenzt ist. Wir haben – und das ist aus meiner Sicht bedenklich – ein Defizit in der Umsetzung internationaler Menschenrechtsabkommen. Nehmen wir als Beispiel die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum UN-Sozialpakt (Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Deutschland hat es nie ratifiziert und zwar mit der Begründung, man müsse dafür zu viele Änderungen im innerstaatlichen Recht vornehmen. Wenn man sich aber als Vorreiter im internationalen Menschenrechtsschutz sieht, dann muss man auch in Kauf nehmen, dass man im eigenen Laden etwas verändern muss – auch wenn wir durch unser Rechtssystem unzweifelhaft starke Instrumente des Menschenrechtsschutzes aufgebaut haben.

KP: Hat Deutschland im Staatenverbund der Vereinten Nationen diese Vorreiterrolle Ihrer Meinung nach inne? Gerade auch angesichts der Tatsache, dass man im militärischen Bereich diese Rolle eben nicht einnehmen möchte?

CS: Aus unserer Geschichte heraus ist es eher schon eine Verpflichtung, die wir haben. Allerdings sollte Deutschland nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt rennen und jeden ermahnen, unsere Normen und Werte zu übernehmen. Das wird nicht funktionieren. Aber ins eigene Haus zu schauen und die Umsetzung internationaler Normen voranzutreiben, diese Verpflichtung besteht meiner Ansicht nach. Ansonsten können wir auch nicht mit Überzeugungskraft nach außen gehen. Wenn Sie die Zurückhaltung im militärischen Bereich ansprechen – ich finde es schwierig, das gegeneinander abzuwägen. Was wir tun könnten, wäre eine deutlich verstärkte materielle Unterstützung von internationalen Menschenrechtsschutzorganisationen wie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Menschenrechtsschutz ist ein sehr grundsätzlicher Anspruch, aber er muss eben jeden Tag neu – und das auch in unserer Gesellschaft – umgesetzt werden. Wir tun häufig so, als sei das selbstverständlich, aber das ist es nicht.

KP: Wie kann angesichts der Defizite, die Sie ansprechen, die Arbeit der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes noch stärker in Deutschland verankert werden?

CS: Es sind verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen muss. Besonders in der politischen Arbeit haben wir in den letzten Jahren einiges erreicht, ich denke z.B. an die Einrichtung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im deutschen Bundestag 1998. Aber auch hier gibt es Defizite und da spreche ich aus eigener Erfahrung. Das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist aus meiner Sicht in der jetzigen Form und Struktur ungeeignet, um als Instrument wirklich nach außen wie nach innen wirken zu können. Es war in meiner Zeit höchst umstritten, ob ich mich als Menschenrechtsbeauftragter zu Entwicklungen innerhalb Deutschlands äußern darf, z.B. in der Migrationsfrage oder zum Familiennachzug – federführend war und ist hier das Bundesministerium des Innern. Hier gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf; eine wichtige Forderung ist z.B. die Aufwertung des oder der Beauftragten zu einem Staatsminister im Auswärtigen Amt. Wo wir wirklich gut aufgestellt sind, ist die Arbeit im zivilgesellschaftlichen Bereich. Ohne diese starke Zivilgesellschaft sähe die Menschenrechtslage in Deutschland ganz anders aus.

KP: 2019 wird Deutschland für zwei Jahre einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehaben. Der deutsche UN-Botschafter Dr. Christoph Heusgen hat unter anderem die weltweite Krisenprävention und den Einsatz für Menschenrechte auf die Agenda gesetzt. Wie bewerten Sie die Chancen Deutschlands, aus diesem Gremium heraus aktiv die internationale Menschenrechtspolitik mitgestalten zu können?

CS: Der Ansatz ist richtig, aber er wird schwer umsetzbar sein. Ein Weg wäre, das sage ich noch einmal, eine stärkere Unterstützung der Arbeit des IStGH, den der Sicherheitsrat mit einem Mandat beauftragen kann. Ein anderer Ansatz ist der Dialog mit dem Menschenrechtsrat, der aber auch deutlich in die Kritik geraten ist.

KP: Die USA sind kürzlich unter anderem mit der Begründung aus dem Menschenrechtsrat ausgetreten, dass dort zu viele Despoten vertreten seien. Außerdem kritisieren sie den starken Fokus auf Israel. Wie beurteilen Sie die Rolle und auch die Wirkung dieses Gremiums?

CS: Ich teile diese Kritik nur zum Teil – natürlich tut es weh, wenn man sieht, welche Länder dort Mitglied sind. Auch die Israeldebatten in jeder Sitzung des Rates finde ich völlig unangemessen. Es gibt sicherlich Staaten mit einer ganz anderen Menschenrechtsbilanz, die man diskutieren müsste. Ich denke aber, der Quantensprung, der mit der Gründung des Menschenrechtsrates erreicht wurde, ist das Periodische Überprüfungsverfahren, in dem alle Mitgliedsstaaten der UN ihre nationale Menschenrechtsbilanz vortragen müssen. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber der alten Menschenrechtskommission und das sollte man bei aller Kritik nicht vergessen. Wenn Staaten wie die USA vor denjenigen kapitulieren, deren Menschenrechtsbilanz wir nicht unterstützen, dann wird die Arbeit des Rates nicht besser. Und es gibt auch kein besseres Gremium. Der Menschenrechtsrat kulminiert die Auseinandersetzungen um den Menschenrechtsschutz, hier haben sich alle zu rechtfertigen. Ihn zu verlassen oder ad absurdum zu führen, ist der völlig falsche Weg.

KP: Herr Strässer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Christoph Strässer, geboren 1949 in Velbert, war von 2002 bis 2017 Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und von 2014 bis 2016 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Von diesem Amt trat er im Februar 2016 zurück und erklärte, die geplanten Verschärfungen der Asylgesetze durch die Bundesregierung seien mit seinen eigenen Positionen nicht vereinbar.

Katja Philips