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Menschenrechte verjähren auch im Alter nicht

Am 15. Juni ist der Welttag gegen die Misshandlung älterer Menschen (World Elder Abuse Awareness Day - WEAAD), um auf die global zunehmende Zahl von Gewalttaten gegen ältere Menschen aufmerksam zu machen. Weltweit gehören sie zu den am wenigsten verfolgten Menschenrechtsverletzungen.

Eine Frau mit tiefen Falten und violettem Kopftuch schaut ernst in die Kamera.
Mehr als zwei Milliarden Menschen werden im Jahr 2050 über 60 Jahre alt sein. (UN Photo/Gema Cortes)

Der Begriff „älterer Menschen“ ist relativ zu verstehen und nicht an eine starre Zahl gebunden. Dennoch gehen einige Erhebungen wie der zweite Internationale Aktionsplan von Madrid über das Altern (Madrid International Plan of Action on Ageing - MIPAA) aus dem Jahr 2002 von Personen im Alter um die 60 Jahre aus.

Jede sechste Person über 60 Jahren ist laut der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization - WHO) von Misshandlungen betroffen. Umgerechnet sind das rund 141 Millionen Menschen weltweit, wobei die tatsächliche Zahl durch die Dunkelziffer noch höher liegen dürfte. Nach einer Studie aus dem Jahr 2017 wird überhaupt nur einer von 24 Fällen von Misshandlung gegen Ältere gemeldet. Hinzukommend wird die globale Bevölkerung immer älter. Dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zufolge stieg die Lebens­erwartung für Neugeborene zwischen 1950 und 2020 im globalen Durch­schnitt von 47 Jahren auf 72 Jahre. Im Jahr 2020 betrug die prozentuale Anzahl der Weltbevölkerung der über 60-Jährigen schon 15 Prozent. Bereits im Jahr 2050 soll sich diese Anzahl auf mehr als zwei Milliarden verdoppeln. Gleichzeitig erfahren immer mehr ältere Personen Gewalt und Missbrauch.

Bleibt es bei der hohen Fallzahl sogenannter Misshandlungen älterer Menschen, so wird die Zahl der Betroffenen bis 2050 auf 320 Millionen Menschen ansteigen.

Was sind die Hintergründe und was ist unter „Misshandlung älterer Menschen“ zu verstehen?

Obwohl es offenkundig sein sollte, dass die Gleichheit vor dem Gesetz und staatenübergreifenden Menschenrechten kein Ablaufdatum hat, erfahren ältere Menschen im Alltag sowie in Krisenzeiten häufig Diskriminierungen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters. Der Begriff Altersdiskriminierung beschreibt dabei die Ungleichbehandlung und eingeschränkte Teilhabechance von Menschen aufgrund ihres Lebensalters.

Unter Misshandlungen im Alter ist insbesondere die körperliche, sexuelle, finanzielle und psychologische Misshandlung zu verstehen, sowie die bloße Vernachlässigung. Häufig sind ältere Menschen aufgrund ihres sozioökonomischen Status, ihrer Herkunft oder ihrer Gesundheit sogar von Mehrfachdiskriminierung betroffen.

Aus einer Tagung des Menschenrechtsrats im Jahr 2020 geht hervor, dass insbesondere die Bekämpfung von Diskriminierungen älterer Menschen im Zusammenhang mit Armut, Isolation und Wohnungslosigkeit vorangetrieben werden muss. Dabei sind indigene Bevölkerungsgruppen, Minderheiten, auf dem Land lebende Menschen sowie Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge besonders schutzbedürftig. Viele sind sich ihrer bestehenden Rechte und Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen, nicht bewusst.

Das Ergebnis einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) über Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben älterer Menschen zeigt, dass in Deutschland ältere Menschen häufiger von Trickdiebstahl und Handtaschenraub als von Gewalttaten betroffen sind. Währenddessen ist die Situation der Menschenrechtsverletzungen gegenüber Älteren in Krisengebieten bedrohlich.

Ältere Menschen sind besonders in Krisenländern gefährdet

Laut eines Berichts von Human Rights Watch sind innerhalb der letzten fünf Jahre in Burkina Faso, in Äthiopien nahe der Region Amhara, Mali, in der Zentralafrikanischen Republik, in Südsudan und weiteren Teilen der Sahelregion zahlreiche ältere Menschen in ihren Dörfern von Regierungssoldaten und nichtstaatlichen Gruppen ohne Gegenwehr gefoltert, verschleppt, missbraucht und ermordet worden.

Ältere sind besonders gefährdet, da sie häufiger nicht in der Lage sind, vor Angriffen und Konflikten zu fliehen, in ihrer Verteidigung eingeschränkt sind oder sich aufgrund ihres Alters gegen eine Flucht entscheiden. Woran liegt das?

Viele ältere Menschen bleiben wegen mangelnder Mobilität und fehlender finanzieller Mittel für Transportmöglichkeiten unfreiwillig in den Krisengebieten. Andere entscheiden sich bewusst gegen die Flucht mit dem Willen, ihre Heimat zu schützen oder weil sie glauben, verschont zu werden. Auch bereits erlittenen Verletzungen aus früheren Kämpfen stellen einen Grund gegen eine Flucht dar.

Die Bekämpfung der Diskriminierung nimmt Fahrt auf

Nachdem bereits 1977 die erste Resolution über Rechte älterer Menschen verabschiedet wurde, erging 1982 der erste Aktionsplan in Wien, der im selben Jahr von der Generalversammlung in die Resolution 37/51 aufgenommen wurde. Hiermit entstand das erste internationale Instrument – der erste sogenannte UN-Weltaltenplan ­– für die Rechte im Alter, das einen Leitfaden mit konkreten alterspolitischen Richtlinien darstellt. Zwanzig Jahre später folgte der zweite UN-Weltaltenplan (MIPAA), der als Meilenstein gilt und in seinem Artikel 9 ausdrücklich zum Schutz älterer Menschen in bewaffneten Konflikten aufruft.

Um Menschenrechtsverletzungen aufgrund des Alters weiter zu bekämpfen, bedarf es weiterer gesetzliche Verankerungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), die seit 1998 einen Beraterstatus im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen innehält, fordert unter anderem die Aufnahme des Begriffs „Lebensalter“ in den Artikel 3 des Grundgesetzes. Die BAGSO setzt sich auch für eine multilaterale UN-Altenrechtskonvention ein, um die Handlungsinstrumente im Kampf gegen Altersdiskriminierung weltweit auszuweiten.

Der seit 2011 existierende WEAAD ruft alle Mitgliedsstaaten und jede einzelne Person dazu auf, sich dem dringenden Thema zu widmen und sich für Anzeichen von Misshandlungen Älterer zu sensibilisieren. Nicht zuletzt, weil jeder Mensch irgendwann zu “den Älteren“ zählt.

Alexander Müller


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