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Kleine Schritte reichen nicht: „Weltbericht über nachhaltige Entwicklung“

Seit 2015 gibt es die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), bis 2030 sollen sie umgesetzt sein. Zeit für eine Zwischenbilanz. Der „Weltbericht über nachhaltige Entwicklung 2023“ der Vereinten Nationen bietet dafür eine zentrale Informationsgrundlage.

Auf dem dunkelblauen Cover des Global Sustainable Development Reports steht "Time of Crisis, Times of Change" und es ist eine Erde mit Menschen, Natur und einem Pfeil nach rechts oben zu sehen.
Cover des Global Sustainable Development Reports 2023.

Als sich am 18. und 19. September 2023 in New York die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der Welt zum SDG-Gipfel trafen, geschah dies in einer Situation, in der der Erfolg der vor acht Jahren verabschiedeten Agenda 2030 fundamental in Frage steht. Zwar ist die Welt bei einigen der darin festgelegten Ziele für nachhaltige Entwicklung vorangekommen, etwa bei der Einführung kohlenstoffarmer Technologien zur Eindämmung des Klimawandels. In vielen Bereichen wurden die Fortschritte jedoch ausgebremst, sowohl durch die Corona-Pandemie als auch durch die hohe Inflation und die Schuldenkrise vieler Entwicklungsländer, durch Krieg, Konflikte und Naturkatastrophen. Zudem wirkt sich die Klimakrise immer dramatischer aus.

Seit Veröffentlichung des ersten „Weltberichts über nachhaltige Entwicklung 2019" (Global Sustainable Development Report - GDSR) sind vier Jahre vergangen. Bereits vor der Corona-Pandemie war die Welt nicht auf Kurs, die SDGs bis 2030 zu erreichen. Der diesjährige GSDR mit dem Titel „Krisenzeiten, Zeiten des Wandels" ist der zweite Bericht, der von einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasst wurde, und deutlich macht, dass es immer dringender wird, die Fortschritte bei den SDGs zu beschleunigen. Die Lage ist heute deutlich beunruhigender, es leben noch mehr Menschen in extremer Armut als vor vier Jahren und die Zahl der Hungernden ist wieder auf das Niveau von 2005 gestiegen.

Die Zwischenbilanz lässt erkennen, dass kleine Schritte nicht ausreichen werden, um die 17 Ziele in den verbleibenden sieben Jahren zu erreichen. Stattdessen sind große gesamtgesellschaftliche Veränderungen erforderlich. Und dies weltweit, denn die Agenda 2030 enthält das Versprechen, dabei niemanden zurückzulassen. Um möglichst schnell aufzuholen, spricht sich das unabhängige Autorenteam von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für systematische, strategische Ansätze aus. Zeit und Ressourcen – menschliche, wissensbasierte, finanzielle und institutionelle – müssten so sinnvoll und effektiv wie möglich eingesetzt werden.

Anhand einer Reihe von Beispielen veranschaulicht der GSDR 2023, welche Faktoren in der Vergangenheit grundlegende Veränderungen befördert haben. Das Wissen darum könne nun sowohl eine bessere Konzeptualisierung des gewünschten Wandels im jeweiligen Kontext erleichtern als auch die Nutzung geeigneter Hebel zur Umsetzung. Der Bericht beleuchtet, was getan werden muss, wie es getan werden kann und durch welche nächsten Schritte sich transformative Maßnahmen beschleunigen lassen.

Wissenschaft als Schlüssel

Dabei stützt sich der Bericht auf aktuelle Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse. Er betont die wichtige Rolle der Wissenschaft bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung. Die Wissenschaft kann Erkenntnisse liefern, um Innovationen voranzubringen und problematische Paradigmen aufzubrechen. Laut dem Bericht braucht es mehr interdisziplinäre, an der Agenda 2030 orientierte Forschung, insbesondere im Globalen Süden. Imme Scholz, Ko-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Ko-Vorsitzende des Autorenteams des Berichts, weist darauf hin, dass Wissenschaft wichtig sei, aber allein nicht ausreiche: „Gute Politikgestaltung verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit sozialen Normen und mit dem, was die Menschen brauchen, wollen und bereit sind zu geben. Dazu gehört auch, die Kosten und den Nutzen des Wandels darzulegen und einen gerechten Wandel zu definieren."

Mehr Synergien als Zielkonflikte

Die Wissenschaftler stellten fest, dass es insgesamt mehr Synergien als Zielkonflikte zwischen den verschiedenen SDGs gibt. Das gilt vor allem für Investitionen in die Armutsbekämpfung, in Gesundheit, Bildung, und die Geschlechtergleichstellung, die Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen und sauberer Energie. Investitionen in die Photovoltaik können zum Beispiel direkt den Zugang zu bezahlbarer und sauberer Energie (SDG 7) unterstützen, indirekt aber auch Fortschritte im Bildungsbereich (SDG 4) fördern, wenn Studierende, die vorher keinen Strom im Haus hatten, dann mehr Zeit mit Lernen verbringen können.

Der Bericht liefert neue Hinweise darauf, dass das Verständnis solcher Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zielen von entscheidender Bedeutung sein wird. Es braucht Strategien, um Zielkonflikte zu bewältigen und internationale Spillover-Effekte zu vermeiden – wenn zum Beispiel in einem Land die CO2-Emissionen steigen, weil es Güter produziert, die anderswo ge- oder verbraucht werden. Die Art und Weise, wie Synergien und Zielkonflikte zum Tragen kommen, kann je nach Kontext variieren. Daher fordert der Bericht dazu auf, die jeweiligen Gegebenheiten zu analysieren und politische Konzepte darauf auszurichten.

Der Bericht zeigt auch, dass verschiedene Phasen der Transformation unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Zur Einführung neuer Technologien können Regierungen oder der Privatsektor Anreize schaffen, um Verhaltensänderungen und die Verbreitung von Innovationen zu befördern. Regierungen sollten vor allem ihre Subventionen neu ausrichten. Den Wandel zu beschleunigen erfordert unter Umständen steuerliche Anreize für Elektrofahrzeuge oder strengere Vorschriften für akzeptable Emissionsstandards. Zur Stabilisierung braucht es eine belastbare Infrastruktur, Vorschriften, Nutzergewohnheiten und Normen, die sicherstellen, dass neue Technologien und Praktiken zur neuen Normalität werden. Das kann auch beinhalten, dass Folgen wie der Verlust von Arbeitsplätzen oder der Niedergang veralteter regionaler Industrien durch einen gerechten Übergang abgefedert werden müssen.

Den Wandel beschleunigen

Um die SDGs bis 2030 noch erreichen zu können, verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem SDG-Gipfel in New York nun zu „mutigen, ehrgeizigen, beschleunigten, gerechten und transformativen Maßnahmen, die in internationaler Solidarität und wirksamer Zusammenarbeit auf allen Ebenen verankert sind“. Dabei kann der GSDR 2023 unterstützen. „Der Weltbericht über nachhaltige Entwicklung 2023 trägt dazu bei, ein neues Licht auf transformative Prozesse und Praktiken zu werfen, die dazu beitragen können, die Welt von der Verpflichtung zum Handeln und von der Erklärung zur Umsetzung zu bringen", sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Die SDGs seien nicht nur eine Liste von Zielen. „Sie enthalten die Hoffnungen, Träume, Rechte und Erwartungen der Menschen überall auf der Welt".

Weitere Informationen:

United Nations (2023): Global Sustainable Development Report 2023: Times of crisis, times of change: Science for accelerating transformations to sustainable development. New York.

Christina Kamp


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