Menü

Eine Frau an die Spitze der UN? In der Gunst der Sicherheitsratsmitglieder liegt Antonió Guterres vorerst vorne

Die erste Vorabstimmung zur Generalsekretärs-Wahl im Sicherheitsrat liefert ein spannendes Ergebnis: Demnach liegt anders als von vielen Staaten gefordert keine Frau, sondern der frühere portugiesische Regierungschef und Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) Antonió Guterres in der Gunst der Sicherheitsratsmitglieder vorne.

Ehemaliger UNHCR-Chef Antonió Guterres ist heißer Kandidat auf den Posten als UN-Generalsekretär, © DGVN

Hochspannung gestern an der 1st Avenue in Manhattan, New York. Nach jahrelangem Nominierungs- und Vorstellungsprozess auf die Nachfolge von Ban Ki-moon als UN-Generalsekretär*in traf sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu einer ersten geheimen Vorabstimmung, einer sogenannten „Straw Poll“. Während in weiten Teilen der Mitgliedsländer eine Frau als kommende UN-Chefin erwartet wird, überraschte der Sicherheitsrat mit dem gestrigen Ergebnis, welches aus Diplomatenkreisen an die Medien durchsickerte. 

Der ehemalige portugiesische Regierungschef und frühere Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) ging als Sieger aus der Probeabstimmung hervor. Mit den meisten positiven Stimmen geht Antonió Guterres als Favorit in die kommende Phase bis zur endgültigen Wahl im Dezember. Auch auf Platz 2 rangiert mit dem ehemaligen slowenischen Präsidenten Danilo Turk vorerst keine Frau. Die Bulgarin Irina Bokova, aktuelle UNESCO-Direktorin, und die ehemalige neuseeländische Premierministerin und Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) Helen Clark galten bis gestern als Favoritinnen auf den Posten an der Spitze der Vereinten Nationen. Sie landeten dem Vernehmen nach nur auf dem 3. Und 4. Platz.

Gender, Rotation und Qualifikation

Nach 70 Jahren und 8 Männern als Chefdiplomaten der UN fordern viele Mitgliedsländer eine Frau als Generalsekretärin. Der regionalen Rotation zur Folge sollte diese möglichst noch aus Osteuropa stammen. Doch sind Gender und die regionale Rotation bei der Vergabe von Positionen bei den UN nur zwei von drei wichtigen Kriterien. Während Entwicklungsländer häufig auf die Rotation zwischen den Regionen pochen, stellt die westeuropäische Gruppe, zum Beispiel auch Deutschland, häufig die Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten in den Vordergrund. 

Guterres hat als langjähriger UN-Diplomat, der von der Notwendigkeit der Vereinten Nationen überzeugt ist, als Chef des UNHCRs eine komplexe und große Organisation geführt und sich dabei das Ansehen vieler UN-Mitgliedsstaaten erarbeitet. Der Generalsekretär soll Diener der Mitgliedsstaaten, erfahrener Diplomat, globale Autorität und kluger Technokrat verkörpern. Für viele Mitgliedsländer im Sicherheitsrat scheint Guterres diese Vielseitigkeit auf sich vereinen zu können.

Dem Sicherheitsrat gefallen

Doch spielt neben den drei genannten Kriterien noch eine vierte bei der Wahl des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin eine Rolle. Die permanenten fünf Mitglieder des Sicherheitsrats (P5) sind stets darum bemüht eine Person zu wählen, die nicht aneckt. Der frühere Generalsekretär Kofi Annan galt als selbstbewusster und durchsetzungsstarker Charakter und bereitete den P5 vielfach Schwierigkeiten. Ban Ki-moon zählt dagegen als sanfter, unkomplizierter Diplomat. Die Tatsache, dass Guterres mit dem UNHCR ein Büro geleitet hat, welches im UN-System durchaus für Konfliktpotential sorgen kann und er dennoch die Zustimmung des Sicherheitsrates erhält, könnte für seinen milden und wenig provokanten Charakter stehen. Vielleicht ist genau jene Eigenschaft der Faktor, der ihn an die Spitze der UN bringen könnte.

Die favorisierten Frauen dürften diese Eigenschaft nicht unbedingt die ihren nennen. Putins Liebling Irina Bokova dürfte nach der Aufnahme Palästinas zur in die UNESCO unter ihrer Führung bei den USA kaum auf Akzeptanz stoßen und auch Helen Clark ist eher als kämpferische Politikerin bekannt. So sehr jetzt eine Frau an die Spitze gehören sollte, könnte am Ende doch die Angst der Veto-Mächte vor einer „problematischen“ Person entscheidend sein. 

Der gestrigen Probeabstimmung im Sicherheitsrat werden noch weitere folgen und das Blatt kann sich wieder wenden. Ausschlaggebend wird im Dezember nicht sein, welche Bewerberin oder welcher Bewerber die meisten positiven Stimmen erhalten kann, sondern vor allem wer den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat am besten zu gefallen weiß. Im Falle der Wahl eines Mannes als neuer UN-Generalsekretär dürfte sich der politische Gegenwind gegen die P5 und deren Position im System der Vereinten Nationen jedoch weiter verstärken. 

Wen möchte die Öffentlichkeit?

Vor der ersten Probeabstimmung im Sicherheitsrat hatte die World Federation of United Nations Associations (WFUNA), der Dachverband der nationalen UN-Gesellschaften, welchem auch die DGVN angehört, die Öffentlichkeit zu einer Abstimmung über die Bewerberinnen und Bewerber aufgefordert. Ginge es nach den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser nicht-repräsentativen Umfrage, hätten lediglich Danilo Türk und Helen Clark eine Mehrheit der Abstimmenden hinter sich. Außerdem rechneten die Teilnehmenden Irina Bokova gute Chancen im Sicherheitsrat zu.

Mehr zum Auswahlprozess für die neue UN-Generalsekretärin oder den neuen UN-Generalsekretär gibt es übrigens auf unserem Blog #YourNextSG!

von Tom Lehmann


Das könnte Sie auch interessieren