Menü

„Die Entwicklungszusammenarbeit setzt bei den Ursachen von Konflikten an“

Achim Steiner, Leiter des Entwicklungs-programms der Vereinten Nationen (UNDP), besucht Berlin. In einem Pressegespräch mit der DGVN erklärt er, was Entwicklungszusammenarbeit mit Extremismus zu tun hat und warum der Multilateralismus kein Konzept der Vergangenheit ist.

UNDP-Chef Achim Steiner und Patrick Rosenow, Redakteur der von der DGVN herausgegebenen Zeitschrift VEREINTE NATIONEN, während des Pressegesprächs in der Bundespressekonferenz
UNDP-Chef Achim Steiner und Patrick Rosenow, Redakteur der von der DGVN herausgegebenen Zeitschrift VEREINTE NATIONEN, während des Pressegesprächs in der Bundespressekonferenz.

Die Vereinten Nationen müssen derzeit viel Kritik einstecken. Nicht selten ist angesichts der zahlreichen Krisenherde vom Versagen der Weltorganisation die Rede und vom faktischen Ende des Multilateralismus. Achim Steiner sieht das anders. Der hochrangigste Deutsche bei den Vereinten Nationen, das wird schnell klar, ist ein Optimist. Wo andere wegen ständig wachsender Herausforderungen resignieren, sieht er Lösungsansätze. Für diese und um die weitere Unterstützung der Bundesregierung will der Ökonom in Berlin werben.

Seit rund einem Jahr leitet Achim Steiner das UN-Entwicklungsprogramms (UNDP). Er übernahm damit - nach seiner Tätigkeit als Direktor des UN-Umweltprogramms - eine Institution mit Projekten in über 170 Ländern, einem Finanzvolumen von 5 Milliarden US-Dollar und immer neuen Aufgaben.

Kein dauerhafter Frieden ohne Entwicklung

Gewaltsame Auseinandersetzungen und Extremismus dominieren seit Jahren die internationale Agenda. In Europa manifestiert sich das daraus erwachsende Leid vor allem in der Ankunft vieler Menschen, die Zuflucht suchen. Mit sicherheitspolitischen und militärischen Maßnahmen allein, so zeigt sich immer deutlicher, lässt sich kriegerischen Auseinandersetzungen und daraus erwachsenden Fluchtbewegungen nicht beikommen.

Achim Steiner sieht die Entwicklungszusammenarbeit in einer zentralen Rolle: „Die Formen, in denen sich Konflikte manifestieren – ob ethnisch, religiös oder geschlechtsbezogen – sind vielfältig. In der Konsequenz müssen wir jedoch anerkennen, dass der Grund in vielen Ländern in mangelnder oder fehlerhafter Entwicklung liegt.“

Konflikte, so meint Steiner, entstünden vor allem dort, wo Staaten nicht in der Lage seien, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Gleichzeitig würden auch Menschen in den ärmsten Ländern, die keinen Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder Elektrizität hätten, über neue Kommunikationswege wahrnehmen, dass es andernorts bessere Lebensbedingungen gebe. „Es gibt heute ein viel schärferes Empfinden, was unfair ist.“

Die Entwicklungszusammenarbeit, glaubt Steiner, kann durch die Schaffung von Perspektiven Konflikten vorbeugen. Und sie kann – sozusagen als Frühwarnsystem – Ursachen und aufkeimende Auseinandersetzungen erkennen.

Das gilt in gleichem Maße für Radikalisierungstrends. Steiner verweist auf eine Untersuchung des UNDP unter dem Namen „Pathways to Extremism“. Über 700 Mitglieder extremistischer Vereinigungen wurden dabei zu ihren Beweggründen befragt. 70 Prozent dieser Menschen ließen erkennen, dass der Auslöser, sich einer radikalen Bewegung anzuschließen in Gewalttaten der Regierung lag. Für Steiner zeigt das: „Wir können diesen Kampf gegen Extremismus und Radikalisierung nicht allein mit militärischen und sicherheitspolitischen Maßnahmen gewinnen.“ Denn viel zu oft würden dort, wo Regierungen militärisch gegen Extremisten vorgingen, auch Unbeteiligte Opfer, die sich aus solchen Erfahrungen heraus radikalisierten.

„Mit Sicherheitspolitik und Peacekeeping-Missions lassen sich bestimmte Regionen stabilisieren, aber selten bekämpfen solche Einsätze die Ursachen der Probleme.“ Dort könne aber die Entwicklungspolitik ansetzten. Dabei spielt auch ein Leitsatz der Agenda 2030 - „leaving no one behind“ - eine wichtige Rolle. Gerade das Zurücklassen oder Ausschließen bestimmter Gruppen in der Vergangenheit, sagt Steiner, habe viel mit dem zu tun, was wir heute sehen.

Der Multilateralismus unter Druck

Der UNDP-Chef hat klare Visionen, wie die Probleme in der Welt zu lösen sind. Gleichwohl liegt angesichts verhärteter Fronten zwischen Großmächten und nationalen Alleingängen die Frage nahe, ob die internationale Gemeinschaft sich von solchen Lösungsansätzen nicht zunehmend entfernt.

Achim Steiner weiß um den schwierigen Zustand des Multilateralismus. „Letztlich sind wir heutzutage vielfach in Situationen tätig, in denen sich das Versagen internationaler Politik manifestiert. Und weltweit – von USA, Asien bis Europa - erleben wir, dass internationale Normen infrage gestellt werden. “

Vom Scheitern der internationalen Zusammenarbeit oder der UN möchte er dennoch nicht sprechen. Denn, auch diese Frage muss bei aller berechtigten Kritik gestellt werden, was wäre die Alternative? Steiner sagt: „Wenn wir dieses Gefüge verlieren, müssen wir uns nur erinnern, was der Zusammenbruch des Völkerbundes bedeutete.“ Gerade heute, da viele Menschen zu dieser Zeit kaum noch einen direkten Bezug hätten, sei es schwierig sich eine Welt ohne Multilateralismus überhaupt vorzustellen.

Die internationale Zusammenarbeit, das sieht auch Steiner, steht unter Druck. Gleichwohl leistet sie in vielen Situationen nach wie vor Unerlässliches. Dinge, die neben den vielen schlechten Nachrichten jedoch oft nicht wahrgenommen werden. Steiner erinnert an eine drohende Hungerkatastrophe vor etwa einem Jahr aufgrund einer großen Dürre, die durch das Eingreifen der Vereinten Nationen verhindert wurde. „Und es gibt hunderte solcher Beispiele.“ Der Multilateralismus hat sie also noch seine Erfolge, allerdings eher stille Erfolge, die es selten auf Titelseiten schaffen.

Wo steht Deutschland?

Während mächtige Staatschefs von Donald Trump bis Vladimir Putin sich auf nationalistisches Kräftemessen konzentrieren, richten sich internationale Erwartungen zunehmend an die Europäische Union und im speziellen an Deutschland.

Achim Steiner lobt die Bundesrepublik. Deutschland sei ein Land, das international mit großem Respekt betrachtet werde. Als die zugesicherten Gelder bei der letzten Syrien-Geberkonferenz zurückgingen, habe nur die Bundesregierung ihre Mittel aufgestockt. Und ebenfalls mit Unterstützung der Deutschlands habe man im Irak schon 24 Stunden nach der Befreiung von IS-belagerten Städten mit dem Wiederaufbau beginnen können.

Doch er verbindet sein Lob auch mit einem Appell an die Bundesregierung und die EU. Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik in den Europäischen Staaten mahnt er, sich auf den Grundgedanken und die Werte der EU zu besinnen. Gerade für Deutschland sei es angesichts der Fluchtbewegungen wichtig, sich dafür einzusetzen, Krisen frühzeitig zu erkennen und vorzubeugen. Und auch in Punkto Klimaschutz werden einstige Vorreiter wie die Bundesrepublik zunehmend von anderen Staaten überholt.