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Tourismus als urbane Herausforderung

“Tourists go home“, “No more Rollkoffer“, “Stop Hotels” – der Unmut wächst. In immer mehr Städten und Regionen machen Einheimische gegen die zunehmenden Folgen des Tourismus mobil. Großstädte wie Barcelona oder Venedig stehen vor enormen Herausforderungen, die Lebensqualität der Einheimischen zu gewährleisten, für Besucher attraktiv zu bleiben und die Stadtentwicklung inklusive Tourismus in nachhaltige Bahnen zu lenken. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) können dafür einen Rahmen bieten. Barcelona hat sie sich auf die Fahnen geschrieben.

Rosa Bada (Barcelona activa) und Ernest Cañada auf dem Podium der internationalen Konferenz “Sustainable Tourism for the Development in the framework of the New Urban Agenda” im Mai 2017 in Barcelona
Rosa Bada (Barcelona activa) und Ernest Cañada (Alba Sud) auf dem Podium der internationalen Konferenz “Sustainable Tourism for the Development in the Framework of the New Urban Agenda” im Mai 2017 in Barcelona (Foto: Christina Kamp)

Je attraktiver Städte als Reiseziele werden, desto massiver treten Überlastungserscheinungen auf. Die Touristifizierung von Wohngebieten trägt dazu bei, die Wohnbevölkerung und insbesondere schwächere Bevölkerungsgruppen auszugrenzen und zu verdrängen. „Wenn dadurch Gentrifizierung gefördert wird, kann von nachhaltiger Entwicklung nicht die Rede sein“, sagt Esteban León vom City Resilience Profiling Programme (CRPP) des Wohn- und Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen (UN-Habitat). Barcelona ist eine der Partnerstädte des Programms, das die Widerstandsfähigkeit von Städten gegenüber Katastrophenrisiken stärken soll, insbesondere auch gegenüber den Folgen des Klimawandels.

Hoher ökologischer Fußabdruck

Barcelona leidet unter dem Massentourismus. Auf 1,6 Millionen Einwohner im Stadtgebiet kommen im Jahr ca. 30 Millionen Besucher. Der Tourismus lässt die Lebenshaltungskosten steigen, verschärft den Druck auf die lokale Infrastruktur und Transportsysteme, verursacht Dichtestress, Staus, Abgase und Lärm. Touristen verbrauchen Energie und Wasser und erhöhen das Müll- und Abwasseraufkommen.

Hinzu kommen die fatalen Folgen des Flug- und Schiffsverkehrs. Billigflieger machen kurze Städtetrips in diesem Ausmaß überhaupt erst möglich. Gleichzeitig verursachen sie – ebenso wie die riesigen Kreuzfahrtschiffe – erhebliche Treibhausgasemissionen.

Diese und weitere Probleme teilt Barcelona mit anderen beliebten Touristenzielen, ebenso wie den deutlichen Widerstand der Bevölkerung. Was Barcelona unterscheidet, ist – insbesondere seit dem Regierungswechsel 2015 – die Bereitschaft und das Engagement der Stadtverwaltung, die Probleme anzugehen. Sie setzt dabei auf die aktive Beteiligung der verschiedensten Interessengruppen, einschließlich der gut organisierten Zivilgesellschaft.

Konferenz zu nachhaltigem Städtetourismus

Dieser Ansatz spiegelte sich auch auf der internationalen Konferenz “Nachhaltiger Tourismus für Entwicklung im Rahmen der neuen urbanen Agenda“ wieder, die als eine der Veranstaltungen zum „Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“ im Mai in Barcelona stattfand. Fachleute aus Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Tourismuswirtschaft diskutierten Problemfelder und Lösungen.

Tourismus-Stadtrat Agustí Colom betonte, wie wichtig Nutzungsvielfalt in der Stadt ist. Der Tourismus sei nur ein Teil davon und es müsse ein Gleichgewicht hergestellt werden. Ist das nicht möglich, sei Tourismus „nicht das Richtige“.

Die Stadtverwaltung von Barcelona ist jedoch entschlossen, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Konferenz hat ein Memorandum verabschiedet, in dem aufgezeigt wird, wie der Tourismus in Städten zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung beitragen kann und wie die Ziele helfen können, den Tourismus nachhaltiger zu gestalten. Außerdem werden in einer „Barcelona Declaration“ Verpflichtungen, Selbstverpflichtungen und Strategiefelder skizziert, zum Beispiel in Bezug auf Ressourceneffizienz, Klimaschutz und verantwortlichen Konsum.

Trotz erster Ansätze wie einem Baustopp für weitere Touristenunterkünfte, stärkeren Kontrollen zur Aufdeckung illegaler Ferienvermietung in Wohngebäuden, Besucherlenkung und Einlassbeschränkungen bei den wichtigsten Sehenswürdigkeiten – von einem “nachhaltigen Tourismus“ ist Barcelona derzeit noch weit entfernt. Daniel Pardo von der Association of Neighbourhoods for Sustainable Tourism (ABTS) hält ihn in Barcelona auch schlicht für unrealistisch. Er charakterisiert die Situation als “sehr konfliktreich”. Die Flaniermeile “La Rambla” sei nur noch für Touristen. „In dem Haus, in dem ich wohne, kann ich unten nicht mehr in die Bar gehen, denn die Preise dort sind viel zu hoch“, so Pardo. Der einzige Weg zu mehr Nachhaltigkeit sei eine Wachstumsrücknahme („degrowth“), vor allem weniger Flüge und weniger Kreuzfahrten.

"Tourist go home" - Graffiti in Barcelona
Mit Graffitis bringen Bewohner ihrem Unmut über die Auswirkungen des Tourismus in Barcelona zum Ausdruck. (Foto: Christina Kamp)

Menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Nutzungsvielfalt

Die Qualität der Arbeitsplätze stellte Ernest Cañada, Koordinator der katalanischen Organisation Alba Sud, in den Mittelpunkt. Um Tourismusförderung zu rechtfertigen, würden oft vor allem die Beschäftigungswirkungen des Sektors angeführt. Doch viele der Jobs im Tourismus seien prekär, unsicher und schlecht bezahlt. Vor allem das Reinigungspersonal in der Hotellerie schufte nicht selten unter Bedingungen, die internationale Arbeitsstandards und Menschenrechte verletzen. Ernest Cañada ist Mitglied im Tourismusrat von Barcelona, einem Gremium, in dem die verschiedenen Interessengruppen vertreten sind und ihre unterschiedlichen Perspektiven einbringen können. Der Tourismus hängt mit Politikbereichen zusammen, die die ganze Stadt betreffen, so dass Lösungen im Rahmen eines integrierten Ansatzes gefunden werden müssen.

Von anderen Städten lernen

Xavier Font, einer der Direktoren des International Center for Responsible Tourism an der britischen Universität Surrey, beleuchtete die Nachfrageseite: der Konsum nachhaltiger Tourismusprodukte und Dienstleistungen müsse zur Regel werden. Dabei komme öffentlichen Einrichtungen als Nachfrager eine zentrale Rolle zu. In Kopenhagen seien zum Beispiel 70 Prozent der Hotels zertifiziert.

Auch Amsterdam muss mit dem zunehmendem Touristenstrom umgehen – und versucht ihn besser zu verteilen. „Wir haben die Region Amsterdam vergrößert“, berichtete Boudewijn Bokdam. Projektmanager im Marketing der niederländischen Metropole. “Wir haben jetzt einen Strand und das Schloss Muiderslot heißt jetzt ’Amsterdam Castle Muiderslot’. Dadurch hat sich die Anzahl der ausländischen Besucher verdoppelt.“ Zudem gelte die Tageskarte für den ÖPNV nun für Amsterdam und die Region.

In Venedig wurde ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung bereits durch den Massentourismus verdrängt. Die Stadtverwaltung tut bislang wenig, um den Tourismus nachhaltiger zu gestalten. Diskutiert wird, wie sich der Zugang zum Markusplatz beschränken lässt.

Der Tourismusrat von Barcelona ist ein Modell, das mit seiner dezidierten Ausrichtung auf Nachhaltigkeit bislang eine Ausnahme ist. Er kann Vorbildfunktion haben. Das meinen auch Vertreterinnen der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, die ebenfalls Wege suchen, mit den durch Tourismus verursachten Problemen in ihrer Stadt umzugehen. Eine Kooperation zwischen den beiden Städten könnte dabei helfen und wäre ganz im Sinne der in der „Barcelona Declaration“ vorgeschlagenen „neuen Allianz für nachhaltigen Tourismus in unseren Städten“. In den optimistischen Worten von Erika Harms von Biosphere USA/Kanada: “Folgt man dem Beispiel Barcelonas und passt es entsprechend an, hat man die Hälfte der Arbeit schon getan.”

Weitere Informationen:

Dokumentation der internationalen Konferenz “Sustainable Tourism for the Development in the Framework of the New Urban Agenda” vom 17. bis 19. Mai 2017 in Barcelona

Christina Kamp


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