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Steht nach dem ‚Nein’ in Kolumbien nachhaltiger Frieden auf dem Spiel?

In Kolumbien überschlagen sich aktuell die Ereignisse. Zehntausende protestierten vergangene Woche in Bogotá für den Frieden. Am Freitag wurde bekannt, dass dem kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos der Friedensnobelpreis verliehen werden soll. Das, obwohl – oder gerade weil – am Sonntag zuvor das kolumbianische Volk in einem historischen Referendum den Friedensvertrag zwischen den Rebellen und der kolumbianischen Regierung abgelehnt hatte. Kristina Lunz berichtet über ihre persönlichen Eindrücke am Tag des Votums, über ein gespaltenes Land und über die Bedeutung des Referendums für Opfer- und Frauenrechtsorganisationen.

demonstrierende Menschen in Bogota
Foto: Kristina Lunz

In Kolumbien überschlagen sich aktuell die Ereignisse. Zehntausende protestierten vergangene Woche in Bogotá für den Frieden. Am Freitag wurde bekannt, dass dem kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos der Friedensnobelpreis verliehen werden soll. Das, obwohl – oder gerade weil – am Sonntag zuvor das kolumbianische Volk in einem historischen Referendum den Friedensvertrag zwischen den Rebellen der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (FARC-EP) und der kolumbianischen Regierung abgelehnt hatte. Kristina Lunz berichtet über ihre persönlichen Erfahrungen am Tag des Votums, über ein gespaltenes Land und über die Bedeutung des Referendums für Opfer- und Frauenrechtsorganisationen.

Der Tag des Referendums 

Ich landete einen Tag vor dem Referendum in Bogotá. Nach Kolumbien kam ich, um bei einer lokalen Frauenrechts-NGO zu arbeiten und war dementsprechend voller Vorfreude auf die Abstimmung: Die Implementierung des Friedensvertrages sollte der tägliche Fokus meiner Arbeit werden. Für den nächsten Tag verabredete ich mich also mit Bekannten vor Ort, um gemeinsam am Nachmittag des 2. Oktobers den Frieden zu feiern. Ein Scheitern des historischen Friedensprozesses an der Wahlurne schien praktisch unmöglich.

Am Morgen des Abstimmungstages regnete es in Bogotá. Auch an der kolumbianischen Karibikküste, wo Präsident Santos sich großer Unterstützung erfreut, gab es starke Niederschläge. Teilweise wurde dadurch der Zugang zu den Wahllokalen erschwert. Im Nassen begleitete ich also meinen kolumbianischen Mitbewohner zum Wählen in den Norden der Stadt. Aus allen Ecken strömten Menschen in das Wahllokal und eine lange Schlange bildete sich. Ich war begeistert von der scheinbar hohen Wahlbeteiligung. Später am Tag sollte ich lernen, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Am Nachmittag machte ich mich zum Museo del Oro im Stadtzentrum auf, um dort an einer „Free Walking Tour“ teilzunehmen. Die Tatsache, dass wir uns so unbeschwert im Zentrum bewegen können, erfreute unsere Stadtführerin. Vor zehn Jahren, so berichtete sie, wäre das aufgrund der innerstädtischen Sicherheitslage nicht möglich gewesen. Sie sei sehr stolz auf die positiven Entwicklungen in ihrer Stadt und dementsprechend käme für sie auch nur ein „Sí“ in Frage. Sie sah die Abstimmung als eine echte Chance, das Land nachhaltig zum Positiven zu verändern. Nach der Schließung der Wahllokale um 16 Uhr wurden die ersten vorläufigen Ergebnisse für 17 Uhr erwartet.

Nach Ende der Tour fuhr ich im Taxi entlang der Steilhänge im Osten der Stadt zum Parque de los Hippies, um dort mit meinen Bekannten das Ergebnis abzuwarten. Der Taxifahrer erzählte, er sei voller Zuversicht was die Abstimmung angehe, auch er wollte Frieden in seinem Land sehen. Doch just in dem Moment stellten wir das Radio an: 90% der Stimmen sind ausgezählt und es heißt, dass „No“ knapp gewonnen habe. Meinem Taxifahrer stiegen Tränen in die Augen und als ich im Park ankam, lagen sich viele Menschen weinend in den Armen. Doch nicht alle Kolumbianerinnen und Kolumbianer teilten die großen Hoffnungen, die in das Friedensabkommen gesetzt wurden. Nicht unweit des Parks wurde eine „No“-Party gefeiert. Auf einer Großleinwand ist das Ergebnis zu sehen: Die vom ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe angeführte „No“-Kampagne hat mit einem Vorsprung von 0.4% oder 54.000 Stimmen gewonnen. 49,8% stimmten für „Sí“, 50,2% für „No“. Die Wahlbeteiligung war mit 37% sehr gering.

Eine historische Chance im internationalen Kontext

Internationale Beobachterinnen und Beobachter waren sich dagegen in ihrer positiven Bewertung des Friedensvertrages weitgehend einig. Der Krieg begann vor zirka 52 Jahren und die Auseinandersetzungen kosteten mehr als 220.000 Menschen das Leben. Mehr als sechs Millionen Menschen wurden vertrieben. Obwohl bereits mehrmals vergeblich versucht worden war, Frieden zu schließen, war es das erste Mal in der kolumbianischen Geschichte, dass das Volk über einen Friedensvertrag abstimmen konnte. Der knapp 300 Seiten lange Acuerdo Final Para La Terminación Del Conflicto gliedert sich in sechs Bereiche auf: Landreform, politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, Ende des Konflikts und politische Integration der Guerilla, Lösung des Drogenproblems, Entschädigung für die Opfer sowie Durchführung und Verifizierung des Friedensvertrags. Knapp vier Jahre dauerten die Friedensverhandlungen im kubanischen Havanna. Am 26. September unterzeichneten Präsident Santos und der Guerilla-Führer „Timochenko“ in Cartagena dann den Friedensvertrag, nachdem im August bereits eine Waffenruhe vereinbart worden war. Der Enthusiasmus war deutlich zu spüren - nicht nur im Land selbst, sondern weltweit. Ein Hoffnungsschimmer in Zeiten von Krieg, Terrorismus und Populismus.

Deshalb rief am Tag nach der Ablehnung des Friedensvertrages der UNO Generalsekretär Ban Ki-moon die kolumbianische Regierung und die FARC-EP dazu auf, die Arbeit am nachhaltigen Frieden fortzuführen. Bereits im Januar war die Monitoring-Mission der Vereinten Nationen in Kolumbien beschlossen worden, die der Überwachung des Waffenstillstandes sowie der späteren Niederlegung der Waffen durch die FARC-EP dienen sollte.

Die Opfer stimmten für den Friedensvertrag

Nachdem Santos am Freitag die Nachricht über den Friedensnobelpreis erhielt, schrieb er auf Twitter, diese Auszeichnung gelte nicht ihm, sondern den Opfern des Konfliktes.

Diese Opfer und Betroffenen des Konflikts hatten überwiegend für „Sí“ gestimmt. Das ‚Sí“ gewann zwar auch in den großen Städten wie Bogotá, Cali oder Barranquilla, jedoch vor allem auf dem Land, wo die Menschen bislang am meisten unter dem Konflikt gelitten hatten.

So etwa in Bojayá, im Departamento Chocó, wo die FARC-EP Guerillas bei einem Massaker im Mai 2002 knapp 120 Menschen ermordet hatten und 96% der Wählerinnen und Wähler für den Friedensvertrag stimmten. Analysen zeigen auch, dass derUribismo einer der entscheidendsten Faktoren für das Abstimmungsverhalten war. Die Anhängerinnen und Anhänger von Uribes Politik, die zu seiner Amtszeit als Präsident aus einem harten militärischen Vorgehen gegen die FARC-EP bestanden hatte, und seiner Partei Centro Democrático lehnten den Vertrag überwiegend ab und machten die Abstimmung somit zu einem Referendum über Santos Regierung. Deren Hauptargumente gegen den Vertrag waren das Zugeständnis an die FARC-EP, sich in eine politische Bewegung verwandeln zu dürfen, Amnestie bei bestimmten Verbrechen und die Inklusivität des Vertrages, wie die Berücksichtigung von LGTBQI-Rechten. Vertreterinnen und Vertreter der Kirche riefen aus diesem Grund auch zum No”-Votum beim Referendum auf.

Die Bedeutung des „No”-Votums für eine gleichberechtigte Gesellschaft

Doch was von vielen Konservativen als „Ideología de Género“, Genderideologie, unter dem Deckmantel des Schutzes der Familie und ihrer Werte diffamiert wird, ist eine bemerkenswerte Errungenschaft der kolumbianischen Opfer- und Frauenrechtsorganisationen. Der kolumbianische Friedensvertrag ist weltweit der erste, der die Geschlechterperspektive und die Rechte von Frauen derart prominent integriert. Die Resolution 1325 (2000) des UNO-Sicherheitsrats zu „Frauen, Frieden und Sicherheit”, die die unterschiedlichen Erfahrungen der Geschlechter im Konflikt anerkennt und die Möglichkeit der aktiven Beteiligung von Frauen am Friedensprozess fordert, bietet die Grundlage für eine solche geschlechtersensible Friedensschaffung und Friedenssicherung. So wurde beispielsweise eine ‚Sub-Kommission für Geschlechterfragen’ einberufenzum ersten Mal in einem Friedensprozess. 18 Frauen- und LGTBQI-Organisationen waren an der Entstehung des Friedensvertrages beteiligt, zehn Experten und Expertinnen wurden zum Thema ‚sexualisierte Gewalt’ angehört. Das alleine ist ein historischer Erfolg, wenn man bedenkt, dass zwischen 1992 und 2011 nur neun Prozent der Verhandelnden in offiziellen Friedensgesprächen Frauen waren. Es war auch die kontinuierliche und unermüdliche Lobbyarbeit der Frauenrechtsorganisationen, die sicherstellte, dass es bei der Annahme des Friedensvertrages keine Amnestie für sexualisierte Gewalt gegeben hätte. Forschung zeigt, dass wenn die Perspektive und Erfahrungen von Frauen Einfluss auf einen Friedensprozess haben, der Frieden um ein Vielfaches nachhaltiger ist. Genau aus diesem Grund wird das ‚Nein’ von Opfer- und Frauenrechtsorganisationen als Schlag ins Gesicht bewertet.

Am vergangenen Freitag veröffentlichten verschiedene Frauen- und Menschenrechtsorganisationen eine gemeinsame Pressemitteilung, in der sie die Konfliktparteien dazu aufrufen, den Waffenstillstand einzuhalten, die Stimmen der Opfer und Frauen weiterhin einzubeziehen und sie baten die Vereinten Nationen, den Friedensprozess weiterhin zu begleiten. Ein Friedensprozess in dem die Perspektiven von Opfern und Frauen Beachtung finden, sei eine einzigartige Chance um Macht zu dezentralisieren, neue politische Partizipationsformen zu fördern und gewaltvolle patriarchale und militärische Strukturen aufzubrechen.

Der Ausgang des Referendums führte also dazu, dass in meiner ersten Arbeitswoche eine eher bedrückende Stimmung herrschte. Die Nachricht vom Friedensnobelpreis für Santos, der die internationale Unterstützung für den Friedensprozess widerspiegelt, wurde von Opfer- und Frauenrechtsorganisationen jedoch sehr positiv aufgefasst. Es bleibt zu hoffen, dass die Konfliktparteien ihr Versprechen, die Friedensarbeit fortzuführen, einhalten und weiterhin die Stimmen der Opfer und Frauen berücksichtigen. Denn ein Rückschritt bei der gleichberechtigten Teilhabe am Friedensprozess und für die Zeit danach würde nachhaltigen Frieden in Gefahr bringen.

Kristina Lunz


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