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Krimtataren weiter unter Druck

Im März 2014 wurde die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig von Russland annektiert. Im gleichen Monat hat die UN-General- versammlung mit der Resolution 68/262 ausdrücklich die territoriale Integrität der Ukraine und die Ungültigkeit des Krim-Referendums unterstrichen. Diese Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft reichten jedoch nicht aus, um die Annektion zu beenden. Die indigene Bevölkerung der Krim ist seitdem zunehmend Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Krimtataren.

Die Deportation der Krimtataren. Das Bild von Rustem Eminow
Die Deportation der Krimtataren. Das Bild von Rustem Eminow.

Am 9. August wird weltweit der Tag der indigenen Bevölkerungen begangen. An diesem Tag macht die UN jährlich auf die ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen aufmerksam, welche unter Diskriminierung, Rassismus, Armut, Raub von Ressourcen und unzureichendem Zugang zu Bildungsmöglichkeiten leiden.

Im Jahr 2016 wurde die Lage der indigenen Völker in bewaffneten Konflikten zum Thema des Ständigen Forums für indigene Angelegenheiten der Vereinten Nationen gewählt. Fast in allen Regionen der Welt sind in der Vergangenheit autochtone Bevölkerungen Opfer von Vertreibungen, Gewalt, Massakern und sogar Völkermord geworden. Auch heute werden die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker, als auch andere menschenrechtliche und Instrumente des humanitären Völkerrechts nicht ausreichend umgesetzt, um indigene Völker vor oder während eines Konfliktes zu schützen. So auch im Falle der Krimtataren.

Im März 2014 wurde die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig von Russland annektiert. Im gleichen Monat hat die UN-Generalversammlung mit der Resolution 68/262 ausdrücklich die territoriale Integrität der Ukraine und die Ungültigkeit des Krim-Referendums unterstrichen. Diese Resolution blieb jedoch für die Krimtataren ohne Folgen.

Die Krimtataren als indigene Bevölkerungsgruppe

Die Krimtataren sind eine moslemische, turksprachige Ethnie, die heutzutage ca. 13% der Gesamtbevölkerung der Krim und ca. 0,5% der Bevölkerung der Ukraine bilden. Die Halbinsel Krim war seit über tausend Jahren, unter wechselnden Herrschern, ihr Zuhause.

Die Krimtataren wurden zum ersten Mal 1921 als indigene Bevölkerung nach der Entstehung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Krim innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik anerkannt. In der autonomen Republik konnten sie ihre kulturellen Rechte genießen, sogar die krimtatarische Sprache und Kultur wurden gefördert. Mit dem Beginn des Regimes von Stalin im Jahr 1927 begann jedoch auch der Terror gegen die Krimtataren. Die kulturellen Einrichtungen der Krimtataren wurden verboten und die arabische Schreibweise auf die kyrillische umgestellt.

Erste Vertreibungswelle 1944

Während der Jahre 1941-1944 wurde die Krim durch die deutsche Wehrmacht besetzt. Die Krimtataren nahmen im Zuges des Zweiten Weltkrieges auf beiden Seiten am Kriegsgeschehen teil. Nach der Rückeroberung der Krim durch die Rote Armee 1944 wurde auf Befehl des NKWD (Volkskommissariat des Inneren/ ehem. sowjetische politische Geheimpolizei) ein Beschluss „Über die Maßnahmen zur Reinigung des Krim-Territoriums von anti-sowjetischen Elementen“ erlassen. Innerhalb von drei Tagen wurde die ganze indigene Bevölkerung als Feind der Sowjetunion stigmatisiert und von der Krim deportiert. Unterschiedlichen Angaben zu Folge wurden im Zuge dessen 183.000 bis 230.000 Menschen nach Zentralasien, meistens nach Usbekistan, vertrieben (Infografik). Fast 50% der Gesamtbevölkerung starben durch Verdursten, Verhungern oder durch Krankheiten während der ersten Tage. Weitere tausende sind später im Exil und durch Zwangsarbeit und Unterernährung in Lagern ermordet worden.

Der 18. Mai wird deshalb als schwarzer Tag in der Geschichte der Krimtataren bezeichnet und seit 1993 als Gedenktag für die Opfer der Deportation begangen. Im Jahr 2015 hat das Ukrainische Parlament die Deportationen als Völkermord am krimtatarischen Volk anerkannt.

Der lange Weg nach Hause

Im Jahr 1967 wurden die Krimtataren vom Obersten Sowjet per Dekret vom Vorwurf „des kollektiven Verrats“ freigesprochen. Jedoch durften sie erst 1989 wieder zurück. Seit 1990 sind etwa 200.000 Krimtataren aus der Deportation zurückgekehrt, die aber keine Unterstützung von den Behörden erhalten haben. Viele ließen sich ohne behördliche Erlaubnis nieder und sind auf die Gegnerschaft der dort lebenden Bevölkerung gestoßen. Im Jahr 1991 hat die Ukraine ihre Unabhängigkeit proklamiert und das Krimgebiet erhielt den Status einer Autonomen Republik. Im selben Jahr wurde der Medschlis, ein Rat der Krimtataren, eingerichtet.

Ein Jahr später wurde Krimtatarisch zur dritten, regionalen, offiziellen Sprache der Halbinsel erklärt. Bis zu den Ereignissen im Jahr 2014, hatten die Krimtataren den Status einer nationalen Minderheit in der Ukraine, wobei sie ihre politischen Rechte nicht immer genießen konnten. Von 1994 bis 1998 wurde ihnen gesetzlich eine Quote (14 Personen) im Krim-Parlament gewährleistet. Später, wegen des Mehrheitswahlrechts, waren die Krimtataren im Krim-Parlament und anderen Gremien unterrepräsentiert.

Erst im Jahr 2014, schon nach der Annexion der Krim, wurden sie offiziell als indigene Bevölkerung der Ukraine gesetzlich anerkannt und eine Abteilung für die Autonome Republik Krim im Ministerkabinett der Ukraine geschaffen. 

Mustafa Dschemiljew Porträtfoto vor einer blauen UN-Wand während er bei einer Pressekonferenz spricht.
Mustafa Dschemiljew, Menschenrechtsverteidiger und prominenter Specher der Krimtataren, während einer Pressekonferenz in New York. Die Einreise auf die Krim wurde ihm mittlerweile untersagt ©UN Photo/Mark Garten

Zunehmende Menschenrechtsverletzungen indigener Gruppenrechte

In Folge der Krim-Annexion 2014 ist das Leben der Krimtataren zunehmend von Menschenrechtsverletzungen geprägt. Viele dieser Menschenrechtsverletzungen auf der Krim sind in der Resolution des Europäischen Parlaments dokumentiert, in der die Krimtataren zum ersten Mal von dem internationalen Gremium als indigene Bevölkerung anerkannt wurden. Laut ihr sind Tausende wegen der Weigerung, die russische Bürgerschaft anzunehmen, in die Ukraine geflohen. Die, die noch geblieben sind, erleben regelmäßig Diskriminierung und Bedrohungen durch Besatzungsbehörden.

Beispielhaft ist die wiederholte Dursuchung von Häusern der Krimtataren unter dem Vorwurf der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten. Krimtatarische Aktivisten werden aber auch für kritische Meinungsäußerungen und ihre proukrainische Position unter Druck gesetzt, gegen viele wurde ein Strafverfahren geöffnet. So wurde im Jahr 2015 zum Beispiel Rafis Kashapov, der Vorsitzende des Tatar Social Center, wegen kritischer Artikel im Internet in Haft genommen. In einem Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen wurde auch über die Verhaftung von Eskender Nebiyev, dem Kameramann des krimtatarischen TV-Senders „ATR“, wegen der Teilnahme an einer vom Medschlis organisierten Demonstration informiert. Im Allgemeinen wurden innerhalb kürzester Zeit mehr als 130 Strafverfahren gegen Krimtataren eröffnet.

Verschwindenlassen von Krimtaren

In dem oben genannten UN-Bericht wurde auch auf das Verschwinden von Krimtataren hingewiesen. 21 Personen, darunter auch Ervin Ibrahimov, Vorstandsmitglied des krimtatarischen Weltkongresses, wurden wahrscheinlich entführt. Drei von ihnen sind später tot aufgefunden worden. Die Namen von allen verschwundenen Personen oder von politischen Häftlingen sind in den Berichten des Crimean Tatar Resource Center gelistet.

Die krimtatarische Bevölkerung ist auch in ihren kulturellen Rechten bedroht. Viele Schulen sind geschlossen. Seit April 2016 ist der Medschlis als „extremistische Organisation“ eingestuft, seine Tätigkeit ist auf der Krim verboten. Zuvor wurde das Medschlis-Gebäude mehrmals angegriffen und geplündert. Gegen den amtierenden Vorsitzenden des Medschlis Refat Tschubarow und den Leiter der Crimean News Agency und Berater des Medschlis Ismet Yuksel wurde ein Einreiseverbot verhängt. Auch Mustafa Dschemilew, dem krimtatarischen Führer und vorherigen Vorsitzender des Medschlis, wurde die Einreise auf die Krim verweigert. 

Rita Izsák, die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheitenfragen (engl. Special Rapporteur on minority issues), hat auch über das Verbot der Tätigkeit des islamistischen politischen Organisation „Hizb ut-Tahrir“ berichtet. Die Organisation, die auf der Krim meistens in der Politik und im Bildungswesen tätig war, ist seit 2013 in Russland verboten.

Izsak ist ebenso tief über die Situation der Pressefreiheit besorgt. Die Krimtatarischen Massenmedien müssen jetzt erneut registriert werden. Als inoffizielle Voraussetzung dafür gilt die russische Bürgerschaft der Chefredakteure. Wichtig ist hinzufügen, dass im Jahr 2015 der einzige unabhängige krimtatarische Fernsehsender „ATR“ geschlossen wurde. Viele Blogger und Journalisten sind wegen dem enormen politischen Druck von der Krim geflohen. Nach Angebn der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen ist es auch zunehmend schwieriger, über alle Menschenrechtsverletzungen zu berichten, da Russland Beobachten den Zugang verweigert.

Die Geschichte der Krimtataren ist eine von hunderten in der Welt: die Yanomami in Brasilien, indigene Bevölkerungen Kolumbiens, die afrikanische Tuareg und viele andere. Um Menschenrechtsverletzungen an allen diesen indigenen Bevölkerungen zu vermeiden, sollten sich aber nicht nur die Vereinten Nationen als Staatenverbund, sondern alle Mitgliedsstaaten individuell im Schutz dieser Bevölkerungsgruppen engagieren. 

Tetiana Piletska


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