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Deutsche Nachhaltigkeitspolitik auf dem Prüfstand: Bericht der Bundesregierung zum High-Level Political Forum on Sustainable Development

Im Rahmen des High-Level Political Forums on Sustainable Development (HLPF), welches in New York vom 11. bis 20. Juli 2016 stattfand, stellte Deutschland als eines von 22 Ländern erstmals einen Bericht zum Stand der nationalen Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda „Agenda 2030“ vor.

Auf dem Bild sieht man den Saal, in dem sonst der UN-Sicherheitsrat tagt mit den Teilnehmern des High_level Political Forums 2016
Das High-Level Political Forum on Sustainable Development fand vom 11 - 20 Juli in New York statt. (UN Photo/Manuel Elias)

Das HLPF ist das wichtigste politische Forum der Vereinten Nationen zur Abstimmung globaler Nachhaltigkeitspolitik. Seit der Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung im September 2015 finden im Rahmen des HLPF jährlich Treffen auf Minister*innenebene und vierjährlich auf Ebene der Staats- und Regierungschefs statt. Die neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung sind im Gegensatz zu ihren Vorgängern, den Millennium Development Goals (MDGs), nicht mehr nur für die sogenannten Entwicklungsländer, sondern universell – und damit auch für Deutschland – gültig. Bis zum Gültigkeitsende der Agenda im Jahr 2030 sollen demnach möglichst alle Staaten zweimal (die Berichte sind grundsätzlich freiwillig) zum Stand der jeweiligen nationalen Umsetzungen im Rahmen des HLPF berichten.


Präsentiert wurde der Bericht der deutschen Bundesregierung nun am 19.07.2016 durch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Thomas Silberhorn, sowie einer Vertretung der deutschen Zivilgesellschaft.
 

Herausforderungen und Instrumente

Thomas Silberhorn präsentiert den ersten Teil des Berichts der Bundesregierung
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium Thomas Silberhorn präsentiert den ersten Teil des Berichts. (Foto: IISD/ENB | Kiara Worth)

Im vorgestellten Bericht heißt es:


„Nachhaltige Entwicklung verlangt, Verantwortung wahrzunehmen – heute wie für künftige Generationen, national wie international. Die Agenda erfordert dafür einen Wandel in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hin zu nachhaltigem Handeln auf globaler, regionaler und nationaler Ebene.“


Die neue Reichweite der Agenda, einerseits in Gültigkeit (Universalität), aber auch Inhalt, stellt Deutschland – genau wie andere Industriestaaten – vor große Herausforderungen. So scheinen bisher vorherrschende Ressortverteilungen (Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaftspolitik, Umwelt- und Klimapolitik, etc.) vorerst hinderlich für die kongruente Umsetzung einer Agenda, die alle Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen soll –  Wege der Zusammenarbeit müssen neu erarbeitet und etabliert werden. Dies geschieht zudem nicht nur auf Ebene staatlicher Akteure, sondern mit dem Anspruch eines umfassenden Austauschs zwischen staatlichen, Wirtschafts- und zivilgesellschaftlichen Akteuren.


Wesentliches Instrument ist in diesem Zusammenhang die Überarbeitung der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“, die, in Abstimmung mit der Zivilgesellschaft, voraussichtlich ab Herbst 2016 den verschiedenen an der Umsetzung der Agenda 2030 beteiligten Ressorts als neue Handlungsanleitung dienen wird. Die überarbeitete Strategie wird damit die bisherige „nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ ablösen, die seit 2002 besteht, seitdem regelmäßig überarbeitet wurde und als Leitlinie nachhaltigen Handelns in Deutschland fungiert hat.

Deutsches Engagement in einer interdependenten Welt

Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Rita Schwarzelühr-Sutter beim High-Level Political Forum
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Rita Schwarzelühr-Sutter beim High-Level Political Forum. (Foto: IISD/ENB | Kiara Worth)

 „Die Agenda ist ein Bekenntnis der Welt zu ihrer Interdependenz und ein Orientierungsrahmen für die Bewältigung der Krise.“

(Bericht der Bundesregierung zum HLPF)


Diese Interdependenz wurde auch der Überprüfung des deutschen Engagements zur Umsetzung der Agenda zugrunde gelegt. Berichtet wurde zu jedem der 17 Ziele, wobei jeweils auf drei spezifische Fragen eingegangen wurde:

  1. Was ist die Auswirkung des Ziels in Bezug auf die Umsetzung und Wirkungen in Deutschland?
  2. Was sind Auswirkungen in anderen Ländern und auf globale öffentliche Güter? Was ist die Wirkung weltweit?
  3. Wie können andere Länder in ihren Umsetzungsbemühungen der 17 Ziele unterstützt werden? Wie muss die internationale Zusammenarbeit aussehen?

Diese Betrachtung auf drei Ebenen strukturiert damit die deutschen Bemühungen als Prozesse erstens in Deutschland und für Deutschland, zweitens in Deutschland für die Welt und drittens durch Deutschland in anderen Partnerländern.


Als besondere nationale Herausforderungen wurden hierbei beispielsweise die Erreichung von Gleichberechtigung der Geschlechter, Schutz von Biodiversität sowie die Energiewende und damit zusammenhängend die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens identifiziert.


In Bezug auf die Auswirkungen deutscher Politiken auf das globale Gemeinwohl bzw. die weltweite Wirkung wurden neben der Energiewende auch die deutschen Bemühungen zu mehr Ressourceneffizienz und der Schaffung nachhaltiger Lieferketten sowie generell nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster benannt.


Für den Bereich der internationalen Zusammenarbeit wurden Anstrengungen zur Stärkung transformativer, sektorübergreifender Ansätze betont, die Partnerländer darin unterstützen sollen, eigene Ressourcen zu mobilisieren sowie effektiv zu nutzen. Zusätzlich soll der strukturellen Bekämpfung von Hunger und der Bekämpfung extremer Armut besondere Anstrengungen gewidmet werden, wobei an dem Ziel einer ODA-Quote (Official Development Assistance) von 0,7% des BNE festgehalten werden soll.

Handlungsbedarf

Eine Vertretung der Zivilgesellschaft präsentiert einen Teil des Berichts
Auch die deutsche Zivilgesellschaft war bei der Präsentation des Berichts vertreten. (Foto: IISD/ENB | Kiara Worth)

Während der Bericht zwar insbesondere die Initiativen und Reformen betont, die Deutschland bereits erfolgreich initiiert oder angestoßen hat und sich auf eine lange deutsche „Nachhaltigkeitstradition“ beruft, wird auch eingestanden, dass viel zu tun bleibt. Es verlange einer umfassenden Transformation aller Lebensbereiche, die auch einer neuen Kultur der Nachhaltigkeit bedürfe.


Ein kürzlich gemeinsam vom Forum Menschenrechte, Venro und Forum Umwelt und Entwicklung veröffentlichter Bericht, der den Stand der Umsetzung aus zivilgesellschaftlicher Perspektive abbilden möchte, kommt diesbezüglich zu einer Diagnose, die ebenfalls weiteren Handlungsbedarf offenlegt. Unter dem Titel Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda – noch lange nicht nachhaltig beleuchten 40 Expert*innen, welche Schwächen und Anknüpfungspunkte für notwendige Reformen zur Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland ein Jahr nach Verabschiedung der Agenda 2030 existieren.


In Bezug auf umweltpolitische Aspekte attestierte auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) Deutschland erst vor kurzem umfassenden Handlungs- und Reformbedarf in vielen Bereichen wie beispielsweise der Agrar- oder Recycling-Politik, und betonte die Notwendigkeit einer aktiven Vorreiterpolitik.


Ob und inwiefern die im Bericht dargelegten deutschen Anstrengungen der Umsetzung der Agenda 2030 Früchte tragen werden, bleibt demnach wohl vorerst offen. Im Rahmen der Präsentation des Berichts, teilte die deutsche Bundesregierung mit, im Jahre 2021 wieder vor dem HLPF berichten zu wollen. Dann wird sich wohlmöglich deutlicher zeigen, ob der Maxime, niemanden zurücklassen zu wollen (das diesjährige HLPF tagte unter dem Titel Ensuring That No One is Left Behind), auch realpolitisch Rechenschaft getragen wurde.


Der vollständige Bericht der Bundesregierung zum High-Level Political Forum on Sustainable Development 2016 steht hier zum Download bereit.


Der aktuelle Entwurf der Bundesregierung zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie kann hier eingesehen werden. Der Bericht ist bis zum 31.07.2016 zur schriftlichen Kommentierung freigegeben.

Helen Sharp