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Auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt?

Der erste Vertragsentwurf für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Atomwaffen liegt vor und kann bei der zweiten UN-Verhandlungs- runde vom 15. Juni 2017 bis 7. Juli 2017 konkretisiert und idealerweise finalisiert werden - allerdings ohne erneute Beteiligung Deutschlands.

Illustration: ICAN International

Seit dem 29. Mai 2017 ist es offiziell: Der erste Vertragsentwurf für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Atomwaffen liegt vor und kann bei der zweiten UN-Verhandlungsrunde vom 15. Juni 2017 bis 7. Juli 2017 konkretisiert und idealerweise finalisiert werden.

Bis dato war es ein weiter Weg, denn der 1968 geschlossene Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen (NVV) hatte nicht das Verbot von Atomwaffen zum Ziel, sondern die Verhinderung ihrer weltweiten Verbreitung. Damit existiert bis heute eine Lücke im Völkerrecht, denn Atomwaffen sind die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch nicht völkerrechtlich verboten sind. Artikel VI NVV, der jede Vertragspartei verpflichtet, Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung zu führen, blieb bislang bedeutungslos. Auf der einen Seite versuchte die internationale Staatengemeinschaft, mittels Verträgen die Rüstung zu begrenzen bzw. gebietsbezogene Verbotsverträge zu verhandeln. Auf der anderen Seite überwogen nationale Sicherheitsinteressen und beflügelten den unvermeidlichen Rüstungswettlauf, der letztlich in eine Rüstungsspirale aufwärts führte.

So verwundert es nicht, dass in den letzten Jahren zunehmend mehr Staaten und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGO) ihre Besorgnis über verschiedene Aufrüstungsinitiativen äußerten und zudem vor möglichen katastrophalen humanitären Konsequenzen bei einem Einsatz von Atomwaffen warnten. Dies hatte schon der Internationale Gerichtshof (IGH) in seinem Gutachten 1996 festgestellt, als er ausführte, dass der Gerichtshof zwar nicht definitiv die Frage entscheiden könne, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation eines Staates rechtmäßig oder rechtswidrig wäre, der IGH aber grundlegend feststellte, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.

Vertragsentwurf

Der nun vorliegende Vertragsentwurf für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Atomwaffen ist das Ergebnis der 2012 ins Leben gerufenen „humanitären Initiative“, deren Mitbegründer den Atomwaffendiskurs auf das entscheidende Kriterium, nach dem die Rechtmäßigkeit aller Kriegswaffen beurteilt werden muss, legte: die humanitären Auswirkungen – und die 2014 in der Unterzeichnung der „Erklärung über die katastrophalen humanitären Auswirkungen von Atomwaffen“ durch immerhin 155 Staaten – und damit einer beachtlichen Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft – führte. Der Vertragsentwurf ist ein wichtiger Schritt, um sowohl die weitere Aufrüstung als auch die mit einem Atomwaffeneinsatz verbundene humanitäre Katastrophe in präventiver Weise zu verhindern. Entsprechend dem Entwurf würden sich die Unterzeichnerstaaten verpflichten, unter keinen Umständen Atomwaffen einzusetzen, zu testen, zu entwickeln, herzustellen, anderweitig zu beschaffen, zu besitzen oder zu lagern. Auch der Transfer und die Weitergabe der Verfügungsgewalt sollen verboten sein. Kontrollen und Inspektionen sollen dem Verifikationssystem des NVV entsprechen. Bei erfolgreichem Verhandlungsverlauf und späterer Ratifizierung stehen die Chancen gut, dass sich der Verbotsvertrag gut in das globale System der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen einfügen und insbesondere bestehende Regelungsregime im atomaren Bereich ergänzen würde. So wird der Verbotsvertrag nicht, wie von einigen Staaten (u.a. Deutschland) befürchtet, den NVV als das Fundament der Bemühungen um nukleare Abrüstung nachhaltig schwächen. Vielmehr wird der Verbotsvertrag den NVV in wesentlichen, bislang nicht geregelten Bereichen ergänzen.

UN/Photo Rick Bajornas

Praxistest

Allerdings bleibt fraglich, ob der Verbotsvertrag auch tatsächlich in der völkerrechtlichen Praxis Erfolg haben wird. Denn dafür dürften nicht nur diejenigen Staaten, die keine Atomwaffen besitzen bzw. nicht danach streben, den Verbotsvertrag unterstützen. Vielmehr müssten sowohl die offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten als auch die faktischen Atomwaffenstaaten den Verbotsvertrag ratifizieren und damit Adressaten der darin enthaltenen völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen werden. Es ist aber kaum anzunehmen, dass Staaten wie Indien, Israel und Pakistan, die nicht einmal Mitglied des NVV sind, sich bereit erklären werden, mit dem Verbotsvertrag, der zurzeit verhandelt wird, weitaus höhere völkervertragsrechtliche Verpflichtungen einzugehen als mit dem NVV. Und auch Nordkorea, dessen NVV-Vertragsstatus seit der Bekanntgabe seines Rückzugs 2003 ungeklärt ist und das wiederholt, zuletzt im Mai 2017, die Steuerung eines Atomsprengkopfes in einer Mittelstreckenrakete getestet hat, wird wohl kaum Vertragspartei des Verbotsvertrages werden (wollen). Und auch die fünf offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China sehen den Verbotsvertrag kritisch, da nicht garantiert werden könne, dass sich alle Staaten daran halten werden. Sie favorisieren deshalb weiterhin das Prinzip der nuklearen Abschreckung, wonach der Besitz von Atomwaffen vor einem nuklearen Angriff durch andere Staaten schützen soll.

Rolle Deutschlands

Weitere kritische Stimmen kommen aber auch von anderen Staaten – insbesondere von Deutschland, das (wie die meisten NATO-Staaten) seinerseits wegen seiner abwehrenden Haltung, nicht einmal an den Verhandlungen über ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Atomwaffen teilzunehmen, von NGOs und der Opposition im Deutschen Bundestag kritisiert wird. „Mit ihrer ablehnenden Haltung sendet die Bundesregierung ein falsches Signal, schadet massiv der abrüstungspolitischen Glaubwürdigkeit Deutschlands und schwächt zudem die Vereinten Nationen.“ – so die Begründung im Antrag von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9. März 2017, mit dem sie die Bundesregierung u.a. aufforderten, „doch noch aktiv und konstruktiv an den Verhandlungen über die Ächtung von Atomwaffen teilzunehmen.“ Auch NGOs fordern eine aktive und konstruktive Beteiligung der Bundesregierung an den Verbotsverhandlungen.

Noch 2016 hatte Deutschland im Rahmen der Sitzungen der offenen Arbeitsgruppe (Open-ended Working Group, OEWG) zur nuklearen Abrüstung eine vermittelnde Rolle im Hinblick auf ein immer stärkeres Auseinanderdriften der Verbots-Befürworter und der offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten eingenommen. Nachdem sich jedoch im Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung diejenigen Staaten durchsetzten, die ein Atomwaffenverbot selbst unter Inkaufnahme eines Fernbleibens der Atomwaffenstaaten und ohne Verifikationsmechanismen befürworteten, nahm Deutschland seine abwehrende Haltung gegen die weiteren Verhandlungen ein. Die Bundesregierung begründet dies in ihrem Jahresabrüstungsbericht 2016 (S. 5-6) damit, dass „ein Verbot, das die Nuklearwaffenstaaten nicht einbindet, welches keine Beschränkungen zur Herstellung spaltbaren Materials sowie keine Inspektions- und Verifikationsmöglichkeiten vorsieht und überdies das sicherheitspolitische Umfeld außer Acht lässt, nicht geeignet [ist], das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt zu fördern. Tatsächliche Fortschritte in der nuklearen Abrüstung können nur über einen schrittweisen Ansatz auf der Grundlage des NVV und in Zusammenarbeit mit den Kernwaffenstaaten erzielt werden.“ NGOs wie IPPNW Deutschland weisen zudem darauf hin, dass sich die ablehnende Haltung der Bundesregierung u.a. auch damit begründen lasse, dass sich Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe materiell und personell an der Stationierung von Atomwaffen auf seinem Staatsgebiet beteiligt. Transfer und Weitergabe der Verfügungsgewalt sollen mit dem Verbotsvertrag aber umfassend verboten werden, sodass die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO nicht vertragskonform wäre. Für Deutschland sei insbesondere Art. 1 Abs. 2 lit. a) des Vertragsentwurfes wichtig, wonach jegliche Stationierung von Atomwaffen untersagt wird. Diese Bestimmung hätte zur Folge, dass die US-Atomwaffen in Büchel abgezogen werden müssen, bevor Deutschland den Verbotsvertrag unterzeichnen könne.

Der Bundesregierung ist in dem Punkt zuzustimmen, dass die Einbindung der fünf offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten essential ist, um tatsächlich nukleare Abrüstung zu erreichen, da sie nun einmal über den Großteil der Atomwaffen verfügen. Die Bundesregierung sollte aber ihre bis 2016 eingenommene vermittelnde Rolle wieder aufnehmen, um zum einen abrüstungspolitisch glaubwürdig zu bleiben und zum anderen Deutschlands Rolle in der Welt und sein sicherheitspolitisches Selbstverständnis entsprechend den von der Bundesregierung im Weißbuch 2016 formulierten Grundsätzen zu erfüllen. Danach steht Deutschland „(…) in der Verantwortung (…), die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“ (S. 22) und ist bereit, „sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, zur Bewältigung heutiger und zukünftiger sicherheitspolitischer sowie humanitärer Herausforderungen beizutragen.“ (S. 23). Verantwortung in diesem Sinne zu übernehmen, heißt aber auch, sich aktiv und konstruktiv an internationalen Verhandlungsprozessen zu neuen völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommen zu beteiligen. Die Bundesregierung sollte deshalb ihrer Verantwortung gerecht werden und sich an der zweiten UN-Verhandlungsrunde, die am 15. Juni 2017 beginnt, beteiligen.

Weitere wichtige Informationen und Dokumente können Sie hier einsehen.

 

 

Dr. iur. Jana Hertwig, LL.M. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sie hat zur europäischen Nichtverbreitungspolitik von Massenvernichtungswaffen promoviert und den Verhandlungsprozess zum Verbot von Streumunition wissenschaftlich begleitet.

 


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